Sozialministerin Scharf lehnt eine eigene Anlaufstelle für Missbrauchsopfer ab
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Sozialministerin Scharf lehnt eine eigene Anlaufstelle für Missbrauchsopfer ab

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CSU-Minister nicht einig über Umgang mit Missbrauchs-Opfern

Betroffene sexuellen Missbrauchs in Einrichtungen der katholischen Kirche fordern seit Jahren eine staatliche Anlaufstelle. Nach einem Gespräch mit der Sozialministerin am Montagabend ist nur eines klar: Die CSU hat keine einheitliche Strategie.

Die Voraussetzungen für das erste Treffen von Vertretern der Betroffenenbeiräte aus sechs bayerischen Diözesen sowie einer Missionsbenediktinerin aus Tutzing mit der Bayerischen Sozialministerin hätten besser sein können. Richard Kick vom Betroffenenbeirat im Erzbistum München-Freising hatte Sozialministerin Ulrike Scharf vorab öffentlich wegen ihrer "starren Haltung" kritisiert. Die Ministerin wiederum war wegen der verbalen Attacke via Zeitung verärgert.

"Geschlossenes System kann sich nicht selbst aufarbeiten"

Der Dissens dahinter: Scharf lehnt eine eigene staatliche Anlaufstelle für Missbrauchsopfer im kirchlichen Kontext bislang ab. Genau das aber fordern die Betroffenen seit Monaten. Und nicht nur sie: Auch die Gutachter des im Januar 2022 vorgestellten Missbrauchsgutachtens für das Erzbistum München und Freising hatten eine entsprechende Stelle auf über-diözesaner Ebene vorgeschlagen. Damit die Betroffenen therapeutische und juristische Unterstützung bekommen von geschulten und empathischen Ansprechpartnern - und zwar jenseits der kirchlichen Angebote.

Viele Betroffene erwarten, dass der Staat sich einmischt, bei der Aufarbeitung von Missbrauch in Einrichtungen der katholischen Kirche - genauso wie im Sport und in anderen Kontexten. Denn: "Ein in sich geschlossenes System kann sich nicht selbst aufarbeiten", erklärt eine Schwester der Tutzinger Missionsbenediktinerinnen. Sie beklagt unterschiedliche Geschwindigkeiten in den Diözesen - und eine nach wie vor hohe Dunkelziffer an Opfern in den Orden. Denn die sind oft nicht den Bistümern unterstellt, sondern direkt dem Papst. Die Betroffenen fordern: Der Staat müsse da genauer hinschauen und dürfe die Aufarbeitung den Orden nicht selbst überlassen.

Versöhnlich im Ton - ablehnend in der Sache

Nach dem zweistündigen Gespräch am Montagabend im Sozialministerium dann: versöhnliche Töne. Die Ministerin betont, wie sehr sie die von den Betroffenen geschilderten Schicksale mitgenommen hätten. Missbrauch sei "das Schlimmste was Menschen passieren kann", er führe zu körperlichen und schweren seelischen Schäden.

Eine eigene Anlaufstelle für die Betroffenen lehnt die Ministerin dennoch ab. Scharf verweist auf die bayernweit bereits 35 bestehenden und vom Sozialministerium geförderten Angebote für Betroffene von sexuellem Missbrauch. Ihr Credo: "bessere Kommunikation und Vernetzung der Angebote". Eine neue Fachstelle alleine werde "der Komplexität des Themas" zudem nicht gerecht, ist die Ministerin überzeugt. Die CSU-Politikerin verspricht, im Gespräch bleiben zu wollen, für sie sei es "ein erster Austausch" mit den Betroffenenvertretern gewesen.

Auch die Betroffenen sehen noch Gesprächsbedarf. Er hoffe, so Richard Kick, "dass man sich beim nächsten Mal etwas mehr in die Materie eingearbeitet hat". Und auch Rolf Fahnenbruck vom Betroffenenbeirat in Passau spricht von einem "schwierigen" Gespräch, die Bedürfnisse der Betroffenen seien im Ministerium noch nicht so recht verstanden worden.

Schwarzer-Peter-Spiel im Kabinett?

Die Ministerin bleibt also erst einmal bei ihrem Nein, was eine eigene staatliche Anlaufstelle für Betroffene sexuellen Missbrauchs im kirchlichen - aber auch in anderen Kotexten angeht. Das ist insofern bemerkenswert, da ihr Parteifreund und Kabinettskollege Georg Eisenreich den Betroffenen wiederholt Hoffnung gemacht hat.

Mehrfach bekundete der Justizminister öffentlich Sympathien für so eine Stelle, gleichzeitig aber verwies er auf die Zuständigkeit des Sozialministeriums. Ein Schwarzer-Peter-Spiel? Klar ist jedenfalls: Die Staatsregierung hat noch keine einheitliche Strategie, wie sie sich gegenüber der katholischen Kirche und den Missbrauchsopfern verhalten will. Und das 13 Jahre nach dem Bekanntwerden des Missbrauchsskandals, kritisieren Betroffene sowie Vertreter von Grünen, SPD und FDP.

Dissens in Söders Staatsregierung

Die Sozialministerin lässt ihren Ärger über den Justizminister im BR24-Gespräch durchklingen: Sie habe zur Kenntnis genommen, "dass der Kollege eine anderslautende Meinung hat", so Ulrike Scharf. Und sie weist darauf hin, dass Eisenreich eine Einzelmeinung im Kabinett vertrete: "Er weiß auch, was die Haltung der Staatsregierung insgesamt ist, in Abstimmung mit dem Ministerpräsidenten und dem Innenminister. Hier gibt es eine einheitliche Meinung. Er sieht das persönlich anders. Ich nehme es zur Kenntnis".

Kirchenpolitiker der CSU-Fraktion: Sympathie für staatliche Stelle

Doch der Druck auf die Staatsregierung ihre Mehrheits-Meinung noch einmal zu überdenken, dürfte steigen. Dieser Eindruck entsteht jedenfalls im Gespräch mit Thomas Huber. Er ist in der CSU-Landtagsfraktion für sozial- und kirchenpolitische Fragen zuständig. Huber betont, dass er die Bitte der Betroffenenvertreter nach einer staatlichen Anlaufstelle "sehr gut verstehen" könne. Die unterschiedlichen Signale seiner Parteifreunde aus dem Kabinett erklärt der CSU-Landtagsabgeordnete damit, dass gleich vier Ministerien "irgendwie zuständig" seien: Justiz, Inneres, Soziales und Kultus.

Huber verweist auf eine Expertenanhörung am 20. April im Rechtsausschuss des Landtags. Die Opposition hat das Fachgespräch zwar gegen den Willen der Regierungsfraktionen per Minderheitenvotum durchgesetzt. Nun aber erhofft sich laut Huber auch die CSU Erkenntnisse, wie der Staat gegebenenfalls in die Aufarbeitung des Missbrauchsskandals eingreifen könnte.

Deutsche Bischofskonferenz wirbt für Aufarbeitung des Staates

Andere Bundesländer sind bereits aktiv geworden: Rheinland-Pfalz etwa hat erst kürzlich eine Expertenkommission eingerichtet, im Saarland gibt es bereits eine Anlaufstelle und Nordrhein-Westfalens Familienministerin erwägt Ähnliches.

Selbst die katholischen Bischöfe haben sich schon an den Staat gewandt: Bei der Frühjahrsvollversammlung Anfang März in Dresden warb der Vorsitzende der deutschen Bischofskonferenz, Limburgs Bischof Georg Bätzing, für eine staatliche Beteiligung bei der Aufarbeitung von sexuellem Missbrauch.

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