In der Corona-Krise muss die Kirche nach Einschätzung des Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kiche in Deutschland (EKD), Heinrich Bedford-Strohm, und des katholischen Kardinals Reinhard Marx trotz aller Beschränkungen ganz nahe bei den Menschen sein und gesellschaftliche Gräben überwinden.
Bedford-Strohm und Marx waren zusammen mit Landtagspräsidentin Ilse Aigner (CSU) zu Gast in einem BR extra zum Thema "Wer kann in Zeiten von Corona Halt geben?"
Kirchen: Nähe zu Angehörigen muss möglich sein
Allerdings sei die Kirche auch dem Schutz des Lebens und der Vermeidung von Infektionen verpflichtet, betonten die beiden Kirchenvertreter. Es sei deshalb für sie ein großes Dilemma gewesen, dass Menschen am Anfang der Pandemie einsam gestorben seien, weil zu wenig Schutzkleidung zur Verfügung stand, so Bedford-Strohm.
Bei einem möglichen neuerlichen Corona-Lockdown dürften Alte und Kranke deshalb nicht wieder von ihren Angehörigen isoliert werden. "Das darf nicht wieder passieren", so der Ratsvorsitzende der EKD. Dass keine Nähe zu Angehörigen in Heimen und auf Intensivstationen möglich war, "darüber müssen wir reden", befand auch der Erzbischof von München und Freising, Marx.
Aigner: Zugeben, wenn sich Einschätzung ändert
Aigner fügte mit Blick auf künftige Corona-Einschränkungen hinzu, es müsse immer wieder die Diskussion geführt werden, was sinnvoll und vertretbar sei. Die Politik müsse sich dabei um Transparenz bemühen und auch einräumen, wenn sich eine Einschätzung ändere.
Ein Politiker sage so etwas normalerweise nicht - in der Wissenschaft sei das normal. Eine andere Einschätzung zu gewinnen, müsse auch der Politik zugestanden werden, forderte Aigner.
Kleiner Teil der Bürger wird laut Aigner aggressiver
Die Situation sei politisch aufgeladen, stellte die Politikerin mit Blick auf die Proteste gegen die Corona-Maßnahmen fest. Sie wolle nicht alle Demonstranten pauschal verurteilen, aber Protestierende sollten schon hinschauen, mit wem sie sich "gemein machen".
Die weit überwiegende Mehrheit der Bürger, nämlich 80 bis 90 Prozent seien aber mit den Corona-Maßnahmen einverstanden, betonte die Landtagspräsidentin. Manche forderten sogar noch härtere Maßnahmen. Ein kleiner Teil der Bürger mit anderen Ansichten werde allerdings zunehmend aggressiv. In einer Krise werde eine Minderheit lauter, während man die "schweigende Mehrheit" nicht höre. Aigner unterstrich: "Die Politik handelt nach bestem Wissen und Gewissen und nach den neuesten Erkenntnissen."
Marx: Corona hat bestehende Unruhen verschärft
"Das ist eine kollektive Krise, wie ich sie noch nicht erlebt habe", fügte Marx hinzu. Die Stimmung werde gereizter. Allerdings hätten sich manche Tendenzen bereits vor der Krise abgezeichnet. "Die Pandemie wird beschleunigen und verschärfen, was schon da war", so der Erzbischof. Unter der Decke brodle es: Ungleichheiten, Spannungen, Klimakrise – vieles sei schon vorher in Unruhe gewesen.
Die Kirche könne hier überlegen, wie man miteinander umgehe. Aber Nationalismus oder Fundamentalismus sei nicht Sache der Kirche, fuhr Marx fort. Die Kirchen könnten ein Zeichen der Hoffnung setzen oder es zumindest versuchen: "Wir müssen von Gott reden, der uns nicht allein lässt."
Mit Andersdenkenden im Gespräch bleiben
Bedford-Strohm äußerte sich ähnlich: "Es gibt natürlich Kräfte, die versuchen, die Situation für sich zu nutzen." Aber diese Kräfte seien bereits vor Corona da gewesen.
Wichtig sei es aus Sicht der Kirche, auch mit Andersdenkenden im Gespräch zu sein und immer auch zu hinterfragen, was man selbst denke. Man dürfe "sich nicht immunisieren gegen Fakten und Gedanken anderer."
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