Rathaus von Seeg
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Die Amtsgeschäfte in Seeg hat inzwischen der Zweite Bürgermeister Lorenz Schnatterer übernommen.

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Bürgermeister in U-Haft: Kritiker erheben weitere Vorwürfe

Nachdem der Seeger Bürgermeister wegen des Verdachts auf Betrug in Untersuchungshaft sitzt, werden in Seeg weitere schwere Vorwürfe laut. Der Ex-Bundesfinanzminister und prominente Seeger Theo Waigel ist derweil bestürzt angesichts der Vorgänge.

Über dieses Thema berichtet: Mittags in Schwaben am .

Seit Donnerstag sitzt der Bürgermeister der Ostallgäuer Gemeinde Seeg, Markus Berktold (CSU), in Untersuchungshaft - wegen des Verdachts auf Pflegebetrug in Millionenhöhe. Unterdessen werfen ihm seine Kritiker zuhause vor: Er habe gezielt eine undurchsichtige Struktur um das Caritasheim geschaffen, um sich persönlich zu bereichern.

2017 hatte der Bürgermeister den Vorsitz in der Caritasstiftung, der das Heim gehört, und später auch die Geschäftsführung übernommen. 2020 gründete er vier Gesellschaften für den Betrieb und die Pflege im Heim und setzte in allen sich selbst als Geschäftsführer ein. "Das ist ein Konstrukt, das wohlüberlegt eingefädelt worden ist, nur um den ganzen Gewinn in die Taschen des Herrn Berktold zu scheffeln", behauptet Josef Beller.

Der pensionierte Mathelehrer ist Mitglied der Wählergruppe "Demokratische Bürger Seeg" und hat sich in den letzten Jahren intensiv mit der Struktur des Heims auseinandergesetzt. Gelder seien hin- und hergeschoben und Mieten in Höhe von hunderttausenden Euro nicht bezahlt worden, sagt Beller. "Die Vorwürfe der Staatsanwaltschaft sind nur die Spitze des Eisbergs", behauptet ein Insider, der nicht namentlich genannt werden will, und spricht unter anderem von Insolvenzverschleppung.

Bürgermeister nach Razzia in Untersuchungshaft

Wegen des Verdachts des gewerbsmäßigen Betrugs wurde der Seeger Bürgermeister Berktold am vergangenen Mittwoch nach einer Durchsuchung im Rathaus und im Caritasheim festgenommen. Am Donnerstag erließ die zuständige Haftrichterin Haftbefehl. Seitdem sitzt der Bürgermeister in Untersuchungshaft. Gemeinsam mit dem Leiter des Caritasheims in Seeg soll der Bürgermeister mit Scheinrechnungen die Pflegekasse um insgesamt rund eine Millionen Euro betrogen haben. Laut Staatsanwaltschaft geht es um Corona-Mehraufwendungen, die in Rechnung gestellt wurden, aber tatsächlich nie angefallen seien. Auch der Heimleiter sitzt in Untersuchungshaft.

Theo Waigel: "Das tut weh!"

Bestürzt angesichts dieser Betrugsvorwürfe zeigt sich der wohl prominenteste Seeger, Ex-Bundesfinanzminister Theo Waigel: "Das tut weh – sowohl der Gemeinde, wie auch den kirchlichen Kreisen", sagte Waigel im Interview mit dem BR. Das Caritasheim sei bislang eine Einrichtung gewesen, die hohes Ansehen in Seeg gehabt habe.

Proteste gegen Umgang mit dem Caritasheim

Schon länger gab es in Seeg Kritik an der undurchsichtigen Struktur des Pflegeheims und der Geschäftsführung durch den Bürgermeister. Nachdem die Proteste immer lauter wurden, bat der Seeger Pfarrer Ende Dezember Theo Waigel, in der Sache zu vermitteln. Er habe die Konstruktion rund um das Caritasheim schon von Beginn an als problematisch empfunden, sagt der Ex-Bundesfinanzminister. Deshalb habe er vor Jahren schon den Zweiten Bürgermeister und den stellvertretenden Stiftungsvorstand darauf hingewiesen.

Waigel sieht Interessenskonflikt

"Dass ein Bürgermeister Vorstand des Vereins ist und die Geschäftsführung übernimmt und dann auch noch GmbHs gründet, habe ich mit großer Skepsis wahrgenommen, weil ein Interessenskonflikt vorliegt", so Waigel. "Alles, was mit dem Caritasheim zu tun hat, dürfte nur der Zweite Bürgermeister machen und das dürfte nur über seinen Schreibtisch laufen."

Interne Revision eingefordert

Vergangenen Montag war Waigel nach eigenen Angaben mit dem Ersten Bürgermeister, dessen Berater und dem Pfarrer deshalb noch zu einem Krisengespräch beim Caritasverband in Augsburg. Dort habe Waigel eine interne Revision durch den Caritasverband in dem Seeger Heim eingefordert. "Zu meiner Überraschung hat Herr Berktold der Revision zugestimmt, die jetzt durch die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft überflüssig werden dürfte."

Schock im Rathaus

Im Rathaus sitzt der Schock nach der Razzia vom Mittwoch immer noch tief. Die Amtsgeschäfte hat der Zweite Bürgermeister Lorenz Schnatterer übernommen. Ob der Erste Bürgermeister eventuell vom Dienst suspendiert wird, sei noch nicht entschieden, heißt es vom Landratsamt. Bei der Behörde warte man noch auf offizielle Informationen von der Staatsanwaltschaft, sagte ein Sprecher dem BR.

Gemeinde will zur Aufklärung beitragen

Der Zweite Bürgermeister Lorenz Schnatterer betont, dass sich die Ermittlungen nur gegen den Ersten Bürgermeister als Privatperson richteten. Die Gemeinde sei nicht betroffen. Und er kündigt an: "Wir werden da völlig transparent sein. Sollten von uns noch Dokumente benötigt werden, werden wir alles vorlegen", so Schnatterer. "Und wir werden da auch sehr kooperativ zuarbeiten."

Die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft stehen noch am Anfang. Der mutmaßliche Betrugsskandal wird die Seeger noch lange begleiten. Der Bürgermeister selbst war für eine Stellungnahme bislang nicht erreichbar.

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