Ein Magazin mit der Aufschrift "Bürgerbegehren"
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Politik ohne Umweg - bei den Menschen in Bayern sind Bürger- und Ratsbegehren beliebt.

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Warum Bayern Spitzenreiter bei direkter Demokratie ist

Knapp 40 Prozent aller Bürger- und Ratsbegehren in Deutschland finden laut einem aktuellen Bericht des Vereins "Mehr Demokratie" im Freistaat statt. Die Gründe liegen im bayerischen Regelwerk. Bei Entscheiden zu Windkraft gibt es einen neuen Trend.

Über dieses Thema berichtet: BR24 im BR Fernsehen am .

In Parkstein in der Oberpfalz sollen bald drei neue Windräder stehen. Es fehlen nur noch letzte Gutachten, demnächst soll der Gemeinderat das Projekt final beschließen. Die Unterstützung der Menschen vor Ort ist bereits sicher: "Wir haben einen Bürgerentscheid gemacht, mit einem positiven Ausgang: 55 Prozent waren für Windräder", sagt Josef Langgärtner, Vorstand der Bürgerenergie Parkstein. Mit dem positiven Entscheid war klar: Das Projekt wird weitergeplant und realisiert.

Ein Windpark vor Ort, ein neues Gewerbegebiet, mehr Radwege - über solche Vorhaben können Bürgerinnen und Bürger bei sich in den Gemeinden direktdemokratisch mitbestimmen. Es gibt zwei mögliche Wege: Entweder fordert ein Gemeinderat seine Bürger zu einer Entscheidung auf, durch ein sogenanntes Ratsbegehren. Alternativ können Menschen selbst ein Bürgerbegehren starten. Sammeln sie genügend Unterschriften für ihr Anliegen, kann auch das zu einem Bürgerentscheid führen.

  • Zum Artikel: "Bürgerbeteiligung: Augenwischerei oder echte Mitbestimmung?"

"Nirgendwo so viele Begehren wie in Bayern"

Der Verein "Mehr Demokratie Bayern" hat am Donnerstag seinen aktuellen Bericht zu direktdemokratischen Verfahren vorgestellt. Insgesamt wurden in Deutschland zwischen 1956 und Ende 2022 knapp 9.000 Rats- und Bürgerbegehren auf den Weg gebracht. Landesgeschäftsführer Jan Renner sieht den Freistaat als Vorbild für direkte Demokratie: "Nirgendwo finden so viele Bürgerbegehren, Bürgerentscheide oder auch Ratsbegehren statt wie in Bayern." Von allen direktdemokratischen Verfahren in Deutschland kommen laut dem Bericht knapp 40 Prozent aus dem Freistaat, in absoluten Zahlen sind das 3.500 Begehren. Auf Platz zwei folgt Baden-Württemberg, wo zwölf Prozent aller Verfahren ausgelöst wurden.

Renner begründet die Verteilung mit "verhältnismäßig guten Regelungen" in Bayern. Zum einen seien die nötigen Quoren – also die nötigen Unterschriften, um von einem Begehren zu einem Entscheid zu gelangen – im Vergleich zu anderen Bundesländern moderat. Zum anderen gebe es einen relativ kleinen Ausschlusskatalog: "Das bedeutet, dass wir fast jedes kommunale Thema auch in Form eines Bürgerbegehrens oder eines Bürgerentscheids angehen können", sagt Renner zu BR24. Ganz speziell sei dabei die Bauleitplanung zu nennen, die in vielen anderen Bundesländern ausgeschlossen sei.

Mehr Klima-Begehren, mehr Zustimmung zu Windkraft

In Bayern können Bürger vor Ort auch im Verlauf eines Bauprojekts noch mit einem Bürgerbegehren einwirken. Auch deshalb gibt es immer wieder den Vorwurf, das Mittel der direkten Demokratie würde Klimaschutzprojekte ausbremsen. Laut Renner geht der Trend in jüngster Vergangenheit eher in eine andere Richtung. Betrachte man die Windkraft, so seien entsprechende Entscheide zwar zwischen 2012 und 2018 vermehrt dagegen ausgegangen – "seit 2018, 2019 sehen wir aber, dass wirklich die überwältigende Mehrheit in Bürgerentscheiden pro Windkraft ausgeht", so Renner.

Ein Beispiel – der Entscheid in Parkstein im Jahr 2021. Laut Bericht machen Begehren mit Klimabezug aktuell rund 13 Prozent aller Verfahren aus – Tendenz über die vergangenen zehn Jahre steigend. Die meisten direktdemokratischen Verfahren in Bayern drehen sich um Fragen von Verkehrs- oder Wirtschaftsprojekten, auf dem dritten Platz folgt Bildung, was beispielsweise Schulen angeht.

Wie stark direkte Demokratie in Bayern praktiziert wird, zeigt auch ein Blick auf die zehn Städte, in denen es insgesamt am meisten Begehren gab: die ersten neun in der Liste liegen allesamt im Freistaat, die Top Drei bilden Augsburg (37 Verfahren), München (35) und Landshut (25).

Kommunale Begehren wurden per Volksentscheid eingeführt

Jan Renner sagt, die Bevölkerung habe ein Gespür für wichtige politische Themen, zu denen es eine Entscheidung bräuchte: "Da können die Leute dann wirklich Unterschriften sammeln und sagen: Liebe Politik wir möchten, dass hier etwas passiert. Wir bräuchten ein Korrektiv zu dem, was ihr übersehen habt oder anders seht als wir."

Betrachtet man nur das vergangene Jahr, so gab es laut dem Bericht in Bayern einen leichten Rückgang: 2022 wurden im Freistaat 94 neue Verfahren angestoßen, der Schnitt liegt etwas höher bei 125 Begehren pro Jahr. Renner führt das auf die Nachwirkungen der Corona-Pandemie zurück, die Mobilisierung erschwert habe. Dennoch sei Bayern auf kommunaler Ebene "Motor für die direkte Demokratie in Deutschland".

Die Möglichkeit, kommunale Bürgerbegehren und -entscheide zu starten, gibt es im Freistaat seit 1995. Damals räumten sich die Bürger dieses Recht selbst ein – mit einem Volksentscheid auf Landesebene.

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