Die bayerische Staatsregierung zieht Konsequenzen aus der Entscheidung des Bundesverwaltungsgericht zur Corona-Ausgangsbeschränkung im Frühjahr 2020: Wer wegen Verstößen gegen bestimmte bayerische Regelungen ein Bußgeld zahlen musste, kann dieses nun zurückfordern, wie Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU) mitteilte. Konkret gehe es um jene Regeln, die die Bundesrichter als zu weitgehend eingestuft hätten: das Verbot, die eigene Wohnung zu verlassen, um sich allein oder mit Angehörigen des eigenen Hausstands im Freien aufzuhalten.
Ende November hatte das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig die besonders strengen Corona-Regeln des Freistaats nachträglich gekippt: Die Ausgangsbeschränkung im April 2020 sei mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht vereinbar gewesen. Als mildere Maßnahme wären den Richtern zufolge damals Kontaktbeschränkungen in Frage gekommen. Das ganztägig geltende Verbot, die eigene Wohnung zum Verweilen im Freien zu verlassen, sei ein schwerer Eingriff in die Grundrechte gewesen, betonte das Bundesverwaltungsgericht.
Mehr als 22.000 Bußgelder in 19 Tagen
In dem Rechtsstreit ging es um die bayerische Corona-Verordnung vom 31. März 2020, die von 1. bis 19. April 2020 in Kraft war. Während in anderen Bundesländern damals Kontaktbeschränkungen galten, setzten Ministerpräsident Markus Söder (CSU) und seine Staatsregierung auf ein schärferes Mittel – eine Ausgangsbeschränkung. Das Verlassen der eigenen Wohnung war nur mit "triftigen Gründen erlaubt". Dazu zählten berufliche Tätigkeiten und Arztbesuche, Einkäufe, der Weg zum Lebenspartner sowie Sport oder Bewegung an der frischen Luft, "allerdings ausschließlich alleine oder mit Angehörigen des eigenen Hausstandes".
Die Polizei war angehalten, die Einhaltung der Regeln zu kontrollieren. Laut Gesundheitsministeriums wurden zwischen dem 1. bis zum 19. April 2020 insgesamt 22.076 Bußgelder wegen Verstößen gegen die Ausgangsbeschränkung verhängt.
Nur bestimmte Bußgelder werden zurückgezahlt
Zurückgezahlt werden können nach Angaben des Ministeriums nur Bußgelder, die in diesem konkreten Zeitraum aus den genannten Gründen erlassen worden seien. "In anderen Fällen finden keine Rückzahlungen statt - etwa, wenn Bußgelder verhängt wurden, weil Personen die eigene Wohnung verlassen haben, um mit anderen eine 'Corona-Party' zu feiern." In diesen Fällen bleibe es bei der Bestandskraft der Bußgeldbescheide. "Dies ist auch ein Zeichen an alle Menschen, die sich nach den Regeln der Infektionsschutzmaßnahmenverordnung verhalten haben."
Holetschek: Rückzahlung wird unbürokratisch abgearbeitet
Betroffene können die Rückzahlung laut Ministerium mit einem formlosen Schreiben beantragen. Wenn das Bußgeld in einem bestandskräftigen Bußgeldbescheid verhängt worden sei, entscheide die jeweilige Regierung über die Rückerstattung. "In diesem Fall können die Anträge bei den Kreisverwaltungsbehörden, die den Bußgeldbescheid erlassen haben, oder direkt bei der für die jeweilige Kreisverwaltungsbehörde zuständigen Regierung eingereicht werden", heißt es in der Mitteilung des Ministeriums.
Wurde das Bußgeld in einer "rechtskräftigen gerichtlichen Entscheidung in der Sache" ausgesprochen, sind den Angaben zufolge die Justizbehörden für die Entscheidung über die Rückerstattung zuständig. "In diesen Fällen wird empfohlen, den Antrag bei dem Gericht, das in erster Instanz über die Geldbuße entschieden hat, oder bei der für dieses Gericht zuständigen Staatsanwaltschaft zu stellen."
Holetschek betonte, Bayern setze bei den Rückzahlungen auf ein möglichst einfaches Vorgehen. "Die Anträge auf Rückzahlung werden nun unbürokratisch abgearbeitet."
FDP: Respektlos gegenüber Bürgern
Dem bayerischen FDP-Fraktionsvorsitzenden Martin Hagen reicht die Ankündigung des Ministers nicht. "Die Staatsregierung sollte die betroffenen Bürgerinnen und Bürger zumindest proaktiv über die Möglichkeit einer Rückzahlung informieren lassen, soweit dies durch die Verwaltungsbehörden bei vorliegenden Daten über die Bußgeldbescheide möglich ist", sagte er der Deutschen Presse-Agentur. Immerhin habe auch die Staatsregierung den Fehler zu verantworten. "Zuerst werden die Menschen rechtswidrig zuhause eingesperrt und jetzt sollen sie auch noch selbst ihrem Geld hinterherlaufen." Das sei respektlos gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern, beklagte der FDP-Politiker.
AfD: "Längst fällig"
Der AfD-Gesundheitsexperte im Landtag, Andreas Winhart, sprach von einer "längst fälligen Entscheidung". Die AfD habe nicht nur die Unverhältnismäßigkeit der damaligen Ausgangsbeschränkungen betont, sondern auch stets darauf hingewiesen, dass die Bußgelder überzogen gewesen seien. "Wir hoffen, dass diese Entscheidung der erste Schritt zu einer transparenten und objektiven Aufarbeitung der Corona-Zeit sein wird", sagte Winhart. Die Spaltung der Gesellschaft könne nur durch eine vollständige Aufarbeitung überwunden werden."
Minister verteidigt bayerische Corona-Regeln
Dagegen verteidigte Holetschek erneut das Vorgehen der Staatsregierung im Frühjahr 2020. Seiner Meinung nach lässt sich der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts auch entnehmen, "dass gegen die Anordnung einer Ausgangsbeschränkung im Allgemeinen als Mittel der Pandemiebekämpfung keine Bedenken bestehen". Das bestätige grundsätzlich die damalige Entscheidung, die Ausbreitung des Virus mit dem Mittel der Ausgangssperre zu verlangsamen.
Holetschek betonte: "Es war zu Beginn der Corona-Pandemie besonders wichtig, rasch und entschlossen zu handeln." Es habe damals kaum Wissen über das neuartige Corona-Virus, keine Impfungen und keine Medikamente gegeben.
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