Das Leben ist eine Baustelle – eine Weisheit, die besonders für Kunden der Deutschen Bahn zutrifft. Die bisher letzten Hiobsbotschaften für Zugreisende: Der bereits vor Jahren angekündigte "Deutschlandtakt" verspätet sich voraussichtlich bis 2070. Die Wartezeit bis dahin wird also lang – das legt auch ein gestern veröffentlichter Sonderbericht des Bundesrechnungshofs nahe.
"Die Krise der Bahn wird chronisch"
Nach "vier offensichtlich verlorenen Jahren" sei die Bahn noch unzuverlässiger, ihre wirtschaftliche Lage noch prekärer geworden, stellt der Bericht fest: "Die Krise der Bahn AG wird chronisch, der Konzern entwickelt sich zu einem Sanierungsfall, der das gesamte System Eisenbahn gefährdet." Dabei listet der Bericht technische Probleme wie defekte Schranken gar nicht einzeln auf. Die Ziele der Bundesregierung – Verdopplung der Fahrgastzahlen bis 2030 und ein Viertel des Güterverkehrs auf der Schiene – sind mit der sanierungsbedürftigen Infrastruktur kaum zu schaffen.
Der Bundesrechnungshof macht zwei Hauptursachen der Misere aus. Die erste: die Geschäftsphilosophie der Bahn, die ihre Kernaufgaben lange vernachlässigt habe:
"Statt sich auf Schienennetz und -verkehr zu konzentrieren, weitete die DB AG ihre internationalen und bahnfremden Geschäftstätigkeiten immer weiter aus." Aus dem Sonderbericht des Bundesrechnungshofs
Schuld sei aber auch die Politik, die den letzten Bericht des Bundesrechnungshofs 2019 weitgehend ignoriert habe. Die neue Regierung habe die Probleme bei der Bahn im vergangenen Jahr zwar "zur Chefsache" erklärt und eine Steuerungsgruppe eingesetzt; allerdings sei das Gremium erst in diesem Frühjahr personell besetzt worden. Es ziele zudem nicht "auf eine grundlegende Reform der DB AG ab", die der Bundesrechnungshof für unumgänglich hält.
Wissing: "Können nicht rückwärts regieren"
Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) sieht das anders und verweist auf Versäumnisse der letzten drei CSU-Verkehrsminister. Seit dem Regierungswechsel arbeite man hart an Verbesserungen; "was wir nicht können, ist rückwärts regieren." Zu seiner, also Wissings Politik, gehöre "ein radikales Konzept zur Sanierung des Netzes genauso wie die Umstrukturierung des Konzerns inklusive einer gemeinwohlorientierten Infrastruktursparte."
Konkurrenz von Schiene und Straße hält an
Doch auch innerhalb der Regierung gibt es Zweifel, ob Wissing den im Koalitionsvertrag festgelegten Kurswechsel in der Verkehrspolitik entschlossen genug durchzieht, um etwa dem 2021 beschlossenen Klimaschutzgesetz zum Erfolg zu verhelfen. Dem aktuellen Bundesverkehrswegeplan zufolge fließen derzeit 49 Prozent der geplanten Investitionen in die Straße, 42 Prozent in die Schiene. Für Stirnrunzeln bei den Grünen sorgte zudem eine Liste des Verkehrsministeriums, der zufolge 144 Autobahnabschnitte beschleunigt ausgebaut werden sollen.
Doch vieles, was das Bahnfahren in ferner Zukunft schneller machen soll, wird Zugreisende der Gegenwart in der nächsten Zeit erstmal ausbremsen Aktuellstes Beispiel: wegen des Ausbaus der Bahntrasse zwischen Nürnberg und Bamberg ist die Strecke in der kommenden Woche gesperrt, ICE-Züge werden über Würzburg umgeleitet, Regionalzüge durch Busse ersetzt - ein sehr kleiner Vorgeschmack auf die nahe Zukunft.
Generalsanierung mit Hindernissen
Deutschlandweit ist für die Zeit nach der Fußball-EM 2024 eine Generalsanierung von 40 "Hauptschlagadern" der Bahn geplant. In Bayern sind die Strecken zwischen Regensburg und Nürnberg, zwischen Würzburg und Nürnberg sowie der Knotenpunkt München betroffen. Statt langwieriger Arbeiten bei laufendem Betrieb hat sich die Bahn zu Vollsperrungen entschlossen, was für Reisende wochen- und monatelange Umleitungen und deutlich längere Fahrzeiten mit sich bringt.
Dazu kommen weitere Baumaßnahmen wie die lang umstrittene Elektrifizierung der sogenannten Franken-Sachsen-Magistrale oder der Trasse Regensburg-Hof; auch sollen im Freistaat auf 150 Kilometern Bahnstrecken in Oberfranken, Oberbayern und Niederbayern zweigleisig ausgebaut und etliche Bahnhöfe entsprechend ertüchtigt werden.
Apropos Bahnhöfe: auch in diesen ehemals als "Kathedralen der Mobilität" gefeierten Orten der bewegten Begegnung ist mehr als genug zu tun. In Kulmbach etwa lässt der seit 30 Jahren geforderte barrierefrei Ausbau noch immer auf sich warten. Dafür steht in Pleinfeld die endlich barrierefrei gestaltete Unterführung häufig unter Wasser, Rollstuhlfahrer müssen über improvisierte Palettenstege balancieren.
Von Lindau nach München mit Bob, dem Baumeister
Inzwischen besteht vielerorts ein Sanierungsstau, der direkt im Baustellenchaos mündet - und viele potentielle Bahnkunden abschrecken kann. Etwa auf der landschaftlich so reizvollen Bahnroute zwischen Bodensee und München.
Weil die Zukunft des historischen Inselbahnhofs in Lindau lange in den Sternen stand, bröselt hier inzwischen der Putz von den Wänden, Glasscheiben sind zerbrochen und der Buchladen musste wegen Wasserschadens in der Halle in den Dunstkreis der Toiletten ausweichen. Jetzt wird saniert, weshalb der und die Bahnreisende aus Lindau demnächst und dann bis 2030 durch eine Baustelle zum Zug eilen muss - und in München von einer noch größeren Baustelle empfangen wird.
In der Landeshauptstadt sorgen der miteinander gekoppelte Neubau von Bahnhofshalle und zweiter S-Bahn-Stammstrecke dafür, dass der Bahnhof zum "Erlebnisbahnhof" für Fans von Bob, dem Baumeister geworden ist. Die Fertigstellung hat sich um rund ein Jahrzehnt auf 2036 verschoben - wovor der Bundesrechnungshof 2018 folgenlos gewarnt hatte.
Wo steht der Bahnhof des Jahres 2036?
Es bleibt die Hoffnung, dass sich der Investitionsdruck für Bahnreisende (und das Klima) irgendwann doch bezahlt macht. Der Bahnhof in Coburg - den der Konzern kürzlich zu einem von 16 "Bahnhöfen der Zukunft" umgestaltet hat - ist 2022 zu Deutschlands "Bahnhof des Jahres" gewählt worden. Begründung der Jury: In Coburg sei "eine einzigartige Atmosphäre" entstanden, in der sich Reisende und Besucher des Bahnhofs gleichermaßen wohlfühlten.
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