Das Oberlandesgericht München muss neu über die Strafe für die niedersächsische IS-Rückkehrerin Jennifer W. entscheiden, die dem Sterben eines versklavten Mädchens im Irak tatenlos zugesehen haben soll. Der Bundesgerichtshof erklärte in Karlsruhe, dass das Münchner Urteil Rechtsfehler enthalte. Die Revision des Generalbundesanwalts hatte damit Erfolg.
Der Anwalt von Jennifer W., Ali Aydin, reagierte zurückhaltend: "Die Verteidigung hätte sich gewünscht, dass das Urteil des Oberlandesgerichts München Bestand gehabt hätte und nicht aufgehoben worden wäre", sagte er BR24 auf Anfrage. "Wir gehen weiterhin davon aus, dass das Strafmaß, das die Verurteilte bekommen hat, Tat und Schuld angemessen ist." Es müsse beachtet werden, dass der Tatbeitrag der Frau ganz anders als der Tatbeitrag des Mannes sei. "Wir hoffen, dass ein anderer Senat am Oberlandesgericht München wieder zu einem angemessenen Ergebnis kommen wird", sagte Aydin.
Oberlandesgericht ging von "minderschwerem" Fall aus
W. war im Oktober 2021 in München unter anderem wegen Verbrechens gegen die Menschlichkeit durch Versklavung mit Todesfolge zu zwei Freiheitsstrafen verurteilt worden, die zu einer Gesamtstrafe von zehn Jahren Haft zusammengefasst wurden. Für Verbrechen gegen die Menschlichkeit durch Versklavung verhängte das Oberlandesgericht neun Jahre. Es ging dabei von einem minderschweren Fall aus.
"Menschenverachtende Ziele" nicht berücksichtigt
Genau das wurde nun vom Bundesgerichtshof (BGH) moniert. Der Vorsitzende Richter Jürgen Schäfer sprach von "durchgreifenden rechtlichen Bedenken" gegen die Einstufung des Falles als minderschwer. Das Oberlandesgericht habe nicht die "menschenverachtenden Beweggründe und Ziele" der Angeklagten berücksichtigt, welche die Menschenrechte der Opfer und ihre Menschenwürde verletze, urteilten die Karlsruher Richter.
Dabei dränge sich eine möglicherweise strafverschärfende Wirkung dieser Beweggründe geradezu auf, so der Vorsitzende Richter Jürgen Schäfer, der auch hervorhob, dass W. die Mutter nach dem Tod des Kindes mit vorgehaltener Pistole dazu gezwungen habe, mit dem Weinen aufzuhören. Sie habe damit "essenzielle emotionale Bedürfnisse" der Frau missachtet. Auch sei vom Oberlandesgericht nicht ausreichend gewürdigt worden, dass Jennifer W. die vom IS beabsichtigte Zerstörung der jesidischen Volksgruppe gekannt und gebilligt habe.
Neue Verhandlung über Gesamtstrafe
Nach der Entscheidung des BGH muss über diesen Teil der Strafe und damit auch über die Gesamtstrafe nun ein anderer Senat des Oberlandesgerichts noch einmal verhandeln und entscheiden. Auch W. selbst hatte sich mit einer Revision an den BGH gewandt, diese wurde aber verworfen.
"Haussklavin" ohne Wasser angekettet
Nach den Feststellungen des OLG hatte sich die aus Niedersachsen stammende und zum Islam konvertierte Jennifer W. Ende August 2014 im Alter von 23 Jahren dem Islamischen Staat (IS) im syrischen Rakka angeschlossen. Sie heiratete den für den IS als Geisteraustreiber tätigen Taha Al-J. Dieser hatte kurz zuvor die in der Sindschar-Region gefangene Jesidin Nora B. und ihre fünfjährige Tochter als "Haussklaven" gekauft.
Mit ihrem Ehemann zog W. in den Irak. Die versklavte Jesidin musste für das Ehepaar im Haushalt arbeiten. Als das Mädchen sich auf einer Matratze eingenässt hatte, wollte Taha Al-J. das Kind bestrafen. Er kettete die Fünfjährige bei bis zu 51 Grad Celsius in der Mittagshitze ohne Wasser und Nahrung an ein Außengitter. Das Kind erlitt einen Hitzschlag und starb. Jennifer W. sah tatenlos zu, obwohl sie die Lebensgefahr des Kindes erkannte.
Ex-Ehemann zu lebenslanger Haft verurteilt
Taha Al-J., inzwischen Ex-Ehemann von Jennifer W., ist für seine Handlungen bereits rechtskräftig zu lebenslanger Haft verurteilt worden, auch wegen Völkermordes. Jesiden sind Kurden aus dem Irak, Syrien, der Türkei und dem Iran. Sie bilden eine religiöse Minderheit. Der IS hatte 2014 die Region um das Sindschar-Gebirge im Nordirak überrannt. Die Dschihadisten töteten mehr als 5.000 Angehörige dieser Religionsgemeinschaft. Frauen und Mädchen wurden verschleppt, versklavt und vergewaltigt. Der Bundestag hatte die Verbrechen im Januar als Völkermord anerkannt.
Mit Informationen von dpa und AFP
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