Mehr als 30 Muskeln und 15 Gelenke in Armen und Beinen sind nötig für das Schreiben mit der Hand. Denn wie wir etwas notieren, habe großen Einfluss darauf, wie wir denken, teilt das gemeinnützige Schreibmotorik Institut mit Sitz in Heroldsberg anlässlich des Internationalen Tags der Handschrift am 23. Januar mit. Eine flüssige Handschrift ist also wichtig. In einem Pilotprojekt testet das Institut derzeit, ob Grundschulkindern durch mehr Bewegungs- und Entspannungsübungen im Unterricht das Schreiben mit der Hand leichter fällt und sie dadurch zudem konzentrierter bleiben. An dem Projekt beteiligt sich auch die Grundschule Stein.
Aufwärmübung vor dem Schreiben lockert die Finger
Es ist "Schriftzeit" in der jahrgangsgemischten Klasse 1/2 d an der Grundschule Stein. Auf dem Stundenplan heute steht: Druck- und Schreibschrift üben. Zunächst müssen die Finger aufgewärmt werden. Lehrerin Vivien Semmelmann gibt die Anweisungen: "Du schnappst dir deinen Lieblingsbleistift, mit dem du heute gerne schreiben möchtest. Dann wanderst du zehnmal am Finger hoch und runter, ohne dass der Bleistift runterfällt." Flink drehen die 22 Kinder ihre Stifte in der Hand. Die meisten der Schreibgeräte bleiben zwischen den Fingern und landen nicht auf dem Fußboden. Dann geht’s auch schon los mit dem Schreibtraining, bei dem viele der Kinder besonders auf ihre Stifthaltung achten wollen. Felix erklärt, warum: "Wenn wir zu fest aufdrücken, kann das Blatt reißen. Wenn wir zu leicht schreiben, kann man's nicht sehen."
Der Smiley auf dem Zeigefinger gibt den richtigen Schreibdruck vor
Hilfreich für den richtigen Druck ist ein kleiner Smiley, der auf den Zeigefinger der Schreibhand gemalt ist – gleich unterhalb des Nagelbetts. Der Smiley zeigt an, wie fest die Kinder beim Schreiben aufdrücken. Wird die Stelle um den Zeigefinger weiß, war es zu fest, weiß die 7-jährige Esma. "Für die Kinder ist das eben ein Zeichen, dass sie zu stark drücken. Der Smiley muss immer in Hautfarbe bleiben und darf nicht weiß anlaufen", ergänzt Lehrerin Vivien Semmelmann. Wenn man zu fest drückt, falle der Smiley in eine Mulde und bekomme ein Runzelgesicht. Das will man vermeiden.
Der kleine Smiley auf dem Zeigefinger soll den passenden Druck fürs Schreiben mit der Hand vorgeben.
Feinmotorik Voraussetzungen für eine flüssige Handschrift
Der Smiley ist eine Idee des Schreibmotorik Instituts. Dieses hat ein Pilotprojekt ins Leben gerufen, welches dabei helfen soll, dass Grundschulkinder sich besser konzentrieren können und eine flüssige Handschrift entwickeln. Dazu sagt die Geschäftsführerin des Schreibmotorik Instituts Marianela Diaz Meyer: "Je weniger sich Kinder bewegen, umso schwerer fällt ihnen oft auch das Schreiben." Denn eine gute Grob- und Feinmotorik sowie eine gewisse Körperspannung seien die Voraussetzungen für eine flüssige Handschrift.
Genau da setzt das fächerübergreifende Trainingsprogramm an. Es sieht vor, mehr Bewegungs- und Entspannungsübungen in den Unterricht zu integrieren. So wird beispielsweise das Schreiben im Deutschunterricht immer wieder mit Pausen unterbrochen, in denen die Kinder Dehn-, Gymnastikübungen und kleine Ballspiele absolvieren. "Dies alles soll dazu beitragen, Motorik, Wahrnehmung und Aufmerksamkeit zu verbessern", erklärt Ergonomie-Expertin Diaz Meyer, was langfristig auch zu einer besseren Handschrift führe.
Verzahnung von Sport- und Lerneinheiten wichtig
Seit September sind diese Übungen nun auch fester Bestandteil des Unterrichts von Vivien Semmelmann. Die Lehrerin ist seit fünf Jahren an der Grundschule in Stein. Als Mitarbeiterin im Arbeitskreis zum Thema Handschreiben/Schreibmotorik der Regierung von Mittelfranken hat sie Bestandteile des Trainingsprogramms mitentwickelt: "Es geht prinzipiell darum, wie man auch in anderen Fächern die Handschrift fördern kann, also auch in Kunst, Werken und Gestalten oder in Musik. Oder wie man im Sport auch etwas fürs Handschreiben tun kann", erzählt Semmelmann. Man könne den Sport auch ins Klassenzimmer holen und zum Beispiel mit Ballübungen die Hand-Augen-Koordination verbessern, welche man dann wiederum beim Schreiben brauche.
"Wenn es um Bewegung geht, sind Kinder gerne dabei", stellt die Sportreferentin der Regierung von Mittelfranken, Judith Endisch, fest. "Die Möglichkeit, immer wieder Aktivitäten in verschiedene Formen des Unterrichts einzustreuen, macht das Projekt so gewinnbringend", sagt sie. Dies sei gerade nach der Corona-Pandemie wichtig, denn mangelnde Bewegung bei Kindern sei nach wie vor ein Thema.
Smartphone-Wischen behindert die Stimulierung im Gehirn
Und nicht nur das: Auch die Digitalisierung hinterlässt beim Nachwuchs zunehmend Spuren. "Wir vom Schreibmotorik Institut beobachten seit Jahren, dass sich bei den Kindern die Handschrift verschlechtert", erzählt Marianela Diaz Meyer. Beim Schreiben von Hand würden im Gehirn Regionen stimuliert, die für Bewegungsabläufe, Sprache oder Denken verantwortlich seien. Beim Tippen auf dem Laptop oder beim Wischen auf dem Smartphone fände diese Stimulierung im Gehirn nicht statt, so die Expertin weiter. Der Grund sei, "weil diese Bewegungen immer wieder gleich laufen, egal welche Buchstaben dann getippt oder gewischt werden." Im Gegensatz dazu gäbe es beim Handschreiben eine "regelrechte Neuronenexplosion im Kopf".
Schreibmotorik-Projekt läuft noch bis zum Sommer 2023
Die Regierung von Mittelfranken ist neben dem Lerninstitut für Lerninnovation der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg und anderen Institutionen im In- und Ausland ein Partner des Schreibmotorik-Projekts. Es wird von der Europäischen Union gefördert. Ziel ist es, bis zum Sommer 2023 ein Zertifizierungsprogramm mit modernen, wissenschaftlich fundierten Angeboten zu entwickeln, damit auch andere Schulen von dem Projekt profitieren können.
"Hier ist Bayern": Der BR24 Newsletter informiert Sie immer montags bis freitags zum Feierabend über das Wichtigste vom Tag auf einen Blick – kompakt und direkt in Ihrem privaten Postfach. Hier geht’s zur Anmeldung!