Anita Reichart beklagt sich über die fehlende Nachtruhe. Bei offenem Fenster könne man nicht mehr schlafen. Schuld daran seien die drei Windräder, die seit 2016 in der Nähe ihres Hauses in Holzheim im Landkreis Donau-Ries stehen und besonders laut sein sollen.
Windkraft-Gegner beklagen Lärm und Flächenversiegelung
Reichart sitzt zusammen mit 70 anderen Bürgerinnen und Bürgern in der BR-Sendung "jetzt red i" und erzählt, welche Sorgen ihr und weiteren Anliegern die Windräder bereiten. Jetzt sollen drei neue Anlagen im Waldgebiet "Brand" zwischen Thierhaupten, Münster, Baar und Holzheim gebaut werden. Dafür müssen Wald abgeholzt und Betonfundamente gegossen werden. "Ein ökologisches Desaster", so Anita Reichart. "Ich habe Angst um unser Paradies."
Die einen ärgern sich über Lärm und Flächenversiegelung, die anderen beklagen, dass Anlagen zur Erzeugung von regenerativer Energie nicht gerecht über Bayern verteilt seien. So werde in der Region ein Vielfaches dessen erzeugt, was vor Ort verbraucht wird. Bei "jetzt red i" konnten sie alle mit dem bayerischen Wirtschafts- und Energieminister Hubert Aiwanger (Freie Wähler) und Lisa Badum, Energieexpertin der Grünen im Bundestag, über Windkraft und Energiewende diskutieren.
Befürworter: "Zukunft unserer Kinder sichern"
Aber auch Windkraftenthusiasten melden sich zu Wort. Dazu zählt Manfred Burzler. In der BR-Sendung trägt er ein weißes Shirt mit der Aufschrift: "100% erneuerbare Energien statt Kriege um Öl". Für ihn ist die Energiewende alternativlos, um sich unabhängig von Staaten wie Russland zu machen. "Wir müssen die Zukunft unserer Kinder sichern. Dafür brauchen wir Energie." Neben ihm sitzt seine Tochter. Dem selbstständigen Metallbauer ist es ernst: "Wir müssen endlich mal anpacken. Die Zeit ist reif."
Auch Michael Haas junior aus Aichach-Friedberg ist ein Befürworter der Windkraft. Dass die Windräder so laut sein sollen, kann sich der Ingenieur nicht vorstellen. Er stört sich vor allem an der 10H-Regel, denn "dadurch gibt es kaum geeignete Standorte und auch die Ausnahmen helfen nicht wirklich weiter." Energieminister Hubert Aiwanger stimmt ihm zu: "Ich sag' ganz klar, die neuen Windräder sind kaum mehr zu hören."
Wie die Bürger mit ins Boot holen?
An vielen Stellen der Debatte zeigt sich, dass in Holzheim verhandelt wird, was ganz Bayern beim Thema Energiewende beschäftigt. Eine Frage dabei: Wie kann man die Windräder möglichst gleichmäßig und fair im Freistaat verteilen? Eine andere: Wie kann man die Bürger finanziell an der Windkraft beteiligen und so mehr Akzeptanz erreichen?
Das treibt auch Alexander Mai um. Der 25-Jährige ist gemeinsam mit Laurenz Werner vom Klimacamp Augsburg nach Holzheim gereist - zuerst mit der Bahn und die letzten Kilometer mit dem Fahrrad. Auf dem Weg hätten sie sich über jedes Windrad gefreut, das sie gesehen haben. Alexander Mai fragt in Richtung Hubert Aiwanger und Lisa Badum, wie man es schaffen kann, dass die Anwohner von den Windrädern "finanziell profitieren und sich über jede Umdrehung freuen".
Windkraft als Einnahmequelle
In einer stärkeren finanziellen Beteiligung sieht auch Grünen-Politikerin Lisa Badum eine Chance für mehr Akzeptanz der Windenergie: Denn inzwischen werden Gemeinden verpflichtend an den Erlösen der Windräder beteiligt. Die Windräder würden außerdem für Gewerbesteuereinnahmen und Arbeitsplätze sorgen. Auch Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger betont, dass Windkraftanlagen eine Einnahmemöglichkeit für die Kommunen darstellen können - 20.000 bis 40.000 Euro pro Jahr pro Windrad. "Die Bürger vor Ort sollen was davon haben, dann werden die aktiv Windräder wollen", so Aiwanger.
Auf dem Podium: Viel Einigkeit an diesem Abend. Bis am Ende Lisa Badum dann doch noch mit Nachdruck von Minister Aiwanger fordert: "Schaffen Sie diese unsinnige 10H-Regel ab!" Aiwanger verweist auf die bereits gelockerten Regeln dafür und versichert, dass zeitnah Vorranggebiete für Windenergie fortgeschrieben und Windausschlussgebiete reduziert werden sollen.
Zuversicht und Enttäuschung nach der Diskussion
Konkrete Pläne, wie eine Beteiligung der Bürger in Holzheim aussehen könnte, gibt es laut Bürgermeister Josef Schmidberger noch nicht. Er zeigt sich nach der Diskussion bei "jetzt red i" aber zufrieden: "Das war ein sehr konstruktiver Austausch." Er fühlt sich in seinem bisherigen Vorgehen bestätigt, mit allen Konfliktparteien zu sprechen und Kompromisse zu suchen. Schmidberger gibt aber auch zu: "Man muss lernen, dass man nicht alle Menschen überzeugen kann."
Eine, die sich nicht überzeugt fühlt, ist Anita Reichart. "Schlecht" geht es ihr nach der Diskussion, denn sie hat das Gefühl, die Umwelt sei in der Debatte zu kurz gekommen. Für sie habe sich der Eindruck verfestigt, dass "nur die monetären Aspekte zählen. Aber die Zerstörung der Umwelt kann man mit Geld nicht einfach wiedergutmachen." Vor allem von Lisa Badum als Vertreterin der Grünen ist sie enttäuscht. "Die Grünen waren mal der Anwalt der Natur. Jetzt sind sie konformistisch", meint Reichart.
Für Marianne Höß dagegen, die ebenfalls vom Lärm der drei Bestandsanlagen in Riedheim betroffen ist, war es ein gewinnbringender Austausch: "Meine Stimmung ist jetzt positiv. Die neuen Ansätze haben mir gut gefallen." Ihre Hoffnung ist, dass die drei Problem-Windräder ausgetauscht beziehungsweise erneuert werden können. Der Vorschlag ist an diesem Abend öfter gefallen: Um den Lärm zu reduzieren, müsse man die alten Anlagen erneuern. Bis dahin sind die Windräder Höß aber weiterhin ein Dorn im Auge: "Es regt mich richtig auf, wenn Leute sagen, dass man sie nicht hört."
Auch nach der Sendung geht die Diskussion in Holzheim noch lange weiter.
So geht es weiter in Holzheim
Bis Ende 2022 soll die Planung für die neuen Windräder abgeschlossen werden, wenn die Gemeinde Münster zustimmt. Ihr gehören zwei Drittel des Waldgebietes. Anfang 2023 könnte dann der Antrag beim Landratsamt eingereicht werden. Wird den Antrag genehmigt, ist 2025/2026 mit dem Bau der Windräder im Forstbezirk "Brand" zu rechnen.

Lisa Badum und Hubert Aiwanger in Holzheim bei "jetzt red i"
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