Jakob lebt mit seiner Familie auf dem Land. Die Eltern haben einen landwirtschaftlichen Betrieb. Jakob und sein Bruder sind auf den Schulbus angewiesen. Der Elfjährige versteht die Welt nicht mehr. Er sei jetzt groß genug, den Schulweg alleine an der Landstraße entlang zu gehen, heißt es vom zuständigen Amt. Aber die Landstraße zwischen dem Einsiedelhof seiner Familie bei Altomünster im Landkreis Dachau und dem nächsten Ort Hohenzell ist kurvenreich, nicht beleuchtet, durchaus viel befahren und hat keinen Randstreifen oder einen Fußweg.
Als Fünftklässer keinen Anspruch mehr
Hintergrund ist eine Regelung in der bayerischen Verordnung über die Schülerbeförderung aus dem Jahr 1994. Danach sind Gemeinden verpflichtet, eine kostenlose Beförderung für Schulkinder bereitzustellen, wenn der Schulweg für Grundschulkinder länger ist als zwei Kilometer und für Kinder ab der fünften Klasse länger ist als drei Kilometer. Außerdem besteht eine Beförderungspflicht, wenn ein Schulweg besonders gefährlich oder besonders beschwerlich ist.
Jakob geht seit diesem Schuljahr in die fünfte Klasse einer weiterführende Schule. Sein Schulweg ist jetzt 1,9 Kilometer lang. Also hat der Elfjährige keinen Anspruch mehr auf eine kostenlose Beförderung mit dem Schulbus. Sein jüngerer Bruder ist noch Grundschulkind, sein Weg ist über der Bemessungsgrenze, er darf deshalb den Schulbus kostenlos nutzen. Der Bus hält direkt am elterlichen Hof. Jakob müsste nun an der Landstraße marschieren.

Mutter und Sohn Jakob zu Fuß unterwegs.
Eltern haben Angst um ihren Sohn
Die Eltern von Jakob akzeptieren den Beschluss des zuständigen Landratsamtes Dachau nicht. Mutter Melanie und ihr Mann Christian sind entsetzt, dass ihr Kind diese Strecke laut Beschluss nun zu Fuß laufen soll. Beide haben Angst um ihren elfjährigen Sohn. "Ich habe absolut kein gutes Gefühl, wenn der Jakob in der Früh, in der Dunkelheit oder auch am Nachmittag hier entlanggehen muss", erzählt die besorgte Mutter, während neben ihr an der Landstraße die Autos vorbeirasen.
"Ich kann den Buben nicht mit gutem Gewissen hier laufen lassen." Jakob selbst will auch nicht an der Straße zur Schule gehen. Er habe zwar keine Angst, wie er tapfer erzählt, aber er habe schon ein mulmiges Gefühl. "Weil´s da keinen Gehweg gibt und weil die Autos so schnell fahren."
Offizielle Begehung der Landstraße
Mutter Melanie und Vater Christian nehmen Kontakt zum zuständigen Amt auf. Das will den Fall prüfen. Es zieht sich monatelang. Dann folgt jetzt im Januar eine Begehung. Ein Verkehrspolizist und die Verkehrssicherheitsbeauftragte des Landratsamtes Dachau gehen Jakobs Schulweg am frühen Morgen ab.
Das Ergebnis ist in einem Protokoll festgehalten: "Für Grundschüler ist der Weg besonders beschwerlich (aufgrund der Länge von knapp 2 km) und Erfordernis erhöhter Aufmerksamkeit und dauernder Konzentration (Beobachtung des Verkehrs und ggf. heraustreten ins Bankett). Ab der 5. Jahrgangsstufe ist es den Kindern zumutbar, entgegen der Fahrtrichtung auf dem befestigten Bankett zu laufen. Durchgehend sind weitere Ausweichmöglichkeiten gegeben, so dass es zu keinen Konflikten mit dem relativ geringen KFZ-Verkehr kommt."
Gefährlich, aber nicht gefährlich genug
Die Landstraße ist also gefährlich, aber nicht zu gefährlich für einen Fünftklässler. An eine besondere Gefährlichkeit ist dabei ein strenger Maßstab anzulegen, teilte eine Sprecherin des Landratsamtes Dachau mit. "Die Verhältnisse auf dem Schulweg müssen sich derart von anderen Schulwegen abheben, dass ein stark erhöhtes Risiko besteht, dass der Schüler oder die Schülerin zu Schaden kommt." Könne hingegen der Schulweg mit den Schülern geübt werden und können Gefahrensituationen durch Verhalten des Schülers umgangen werden, so liege keine besondere Gefährlichkeit vor, heißt es vom Amt weiter.
Jakob darf im Schulbus fahren – aber Eltern müssen zahlen
Allerdings: Jakob musste den Schulweg bisher nicht gehen. Er durfte den Schulbus weiterhin nutzen. Aber seine Eltern sollen dafür nun zahlen: 100 Euro im Schuljahr. Um das Geld geht es Mutter Melanie aber gar nicht. Sie zahlen die 100 Euro. Sie versteht einfach nicht, warum dieser Schulweg an der Landstraße als nicht besonders gefährlich und beschwerlich eingeschätzt wird. "Es ist unmöglich, dort ein Kind laufen zu lassen."
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Einige Familien von Regelung der Schülerbeförderung betroffen
Die Eltern von Jakob wollen keinen Streit mit den Behörden, betonen sie. Sie seien dankbar, dass ihr Sohn trotz der bis dato ungeklärten Situation mit dem Schulbus fahren darf. Die Ämter bemühten sich um Lösungen, sagt der Bürgermeister von Altomünster, Michael Reiter. Er bekomme immer wieder Anfragen von Eltern, warum ihr Kind nicht mehr kostenlos mit dem Schulbus fahren könne. Die Gemeinde ist die größte Flächengemeinde im Landkreis Dachau. Hier leben einige Familien auf einsam gelegenen Höfen. Das Problem der Gemeinde: Die Schülerbeförderung müsse auch kostendeckend sein, so Bürgermeister Reiter. Und die Behörden müssen sich an die Gesetzgebung halten.
Jakobs Eltern wünschen sich, dass sich etwas verändert, die Verordnung vielleicht überarbeitet wird und den aktuellen Gegebenheiten angepasst wird. "Wir sind ja nicht die einzigen, die so einen Weg haben."
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