Bald wird die große Wolke bei Niederaichbach im Landkreis Landshut verschwinden. Die Gemeinde befindet sich direkt neben Isar 2 – einem der drei letzten aktiven Kernkraftwerke Deutschlands. Mitte April soll auch dort die Stromproduktion enden, das Ende der Ära Kernkraft in Deutschland. Von den knapp 4.100 Einwohnern sind viele glücklich über den langersehnten Atomausstieg, andere hingegen sehen die Abschaltung als zu überhastet und fragen sich, woher die Energie der Zukunft kommen soll.
Schon um 19.15 Uhr ist die Debatte im vollen Gange, eine Stunde, bevor "jetzt red i" losgeht. Der Andrang ist groß, zusätzliche Sitzgelegenheiten für die Sendung werden herbeigeschafft. Über 100 Bürgerinnen und Bürger sind in die Aichbachhalle gekommen – sie liegt weniger als einen Kilometer Luftlinie von Isar 2 entfernt. Eben jenem Atomkraftwerk, das nur noch bis zum 15. April laufen soll.
Anwohnerin: Mögliche Gefahren von Atomkraftwerk ausgeblendet
Im Foyer ist auch Julia Haider, die seit über 30 Jahren in Niederaichbach lebt, sie ist hier aufgewachsen. Das Kraftwerk kennt sie gut, auch durch Besichtigungen in ihrer Schulzeit: "Die große Wolke ist ein super Wegweiser." Im Laufe der Jahre sei es ihr jedoch mulmig geworden, die möglichen Gefahren machten ihr Angst: "Um weniger Sorgen zu haben, habe ich mich für die Risiken nicht interessiert."
Bürgerin bei "jetzt red i" zu ihren Erinnerungen an Isar 2.
Risikoabwägung falsch? Vergleich von Opferzahlen
Lukas Eichhorn hat sich mit dem Thema genauer auseinandergesetzt: "2011 war ich noch gegen Atomkraft, jetzt bin ich dafür." In seinem Redebeitrag vergleicht er die Opferzahlen in Fukushima mit denen des Kohleunglücks in Nachterstedt 2009: "Maximal eine Person ist in Fukushima gestorben, in Nachterstedt gab es drei Tote." Für ihn wird die Risikoabwägung zwischen Kohle- und Atomenergie daher falsch priorisiert.
Um die Gemengelage an Aspekten einzuordnen, ist Professor Michael Sterner von der Ostbayerischen Technischen Hochschule Regensburg dabei. Der Experte für Energiesysteme mahnt, die Gefahr dürfe nicht unterschätzt werden: "Jedes 100. Kraftwerk ist in die Luft geflogen."
Experte: Kein Strommangel durch AKW-Abschaltung
Die in der Diskussion aufgebrachte Sorge um einen Strommangel durch die Abschaltung ist für Prof. Sterner grundlos. Nach Studien könne man mit einer weiteren Laufzeitverlängerung nur 1 Prozent des deutschlandweit benötigten Stroms herstellen.
Dagegen hält der CSU-Generalsekretär Martin Huber die Abschaltung für einen Fehler. Er verweist auf den steigenden Kohleanteil an der Energieversorgung unter der Ampelregierung. Für die Landesgrünenvorsitzende Eva Lettenbauer, ist die Gefahr zu groß: "Gut und sicher leben" könne man neben Solar- und Wind, nicht neben Atomkraftwerken.

jetzt red i
450 Mitarbeiter im Atomkraftwerk
Einen, dem die Abschaltung aus einer anderen Perspektive Sorgen bereiten könnte, ist Thomas Irlbeck. Er machte seine Ausbildung im Isar-2-Kraftwerk. Ob Irlbeck mit dem Abschalten der letzten Meiler überhaupt noch in Deutschland Arbeit findet? "Ich bin heimatverbunden und bleibe hier." Aktuell ist er auf dem Kraftwerksgelände angestellt. Knapp 450 Mitarbeiter arbeiten dort, bis 2029 gibt es eine Jobgarantie - für den Rückbau braucht man sie noch. Trotzdem soll es laut Angaben des Betreibers bis zum Abriss noch bis 2039 dauern.
Zukunft auch ohne AKWs - Nur die Wolke wird fehlen
Eichhorn, der noch in der Debatte den verzerrten Vergleich zwischen Kohleopfern und Atomopfern kritisierte, lobte die Meinungsvielfalt des Publikums: "Vorher habe ich befürchtet, dass eine Position zu stark vertreten ist, es war sehr ausgeglichen."
Die Anwohnerin Haider hat die Debatte anders erlebt: "Der Ausstieg steht seit zwölf Jahren fest und man hört immer wieder die gleichen Argumente." Sie ist zwar überzeugt, dass es in Zukunft auch ohne Atomkraftwerke funktionieren wird, doch die große Wolke, sagt sie, werde sie vermissen.
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