Das Abschalten der Atomkraftwerke sei "ein schwerer Fehler", der Deutschland nachhaltig schaden würde, ein "sturer Beschluss gegen die Mehrheit der Bevölkerung", kritisierte Ministerpräsident Markus Söder nach der CSU-Vorstandssitzung. Und er wiederholte passend dazu seinen Vorstoß vom Wochenende: "Wir bieten an, für einige Jahre die Kernkraft weiterlaufen zu lassen." In Bayern, also im Alleingang.
Was hat Söder vor?
Bislang ist Söders Vorstoß kein ausgetüftelter Plan, sondern ein "Angebot" an den Bund, so bezeichnet er es selbst. Er will das am Wochenende abgeschaltete Atomkraftwerk Isar 2 in Landesverantwortung weiterbetreiben. Für vier bis fünf Jahre sei eine Produktion von Atomstrom in Bayern weiter möglich.
"Der Bund verweigert sich die süddeutsche Energieversorgung ernst zu nehmen", begründet Söder seinen Vorstoß. Bayern brauche als Ersatz für die weggefallene Atomkraft Alternativen – wie neue Gaskraftwerke – aber angeboten worden sei nichts. "Wir erwarten jetzt eine schnelle Lösung." Ansonsten wolle Bayern seine Atom-Idee vorantreiben.
Geht das rechtlich überhaupt?
Juristisch dürfte Söders Vorhaben äußerst schwierig werden. "Rechtlich unhaltbar", beschreibt Ulrich Wollenteit, Jurist und Spezialist für Atomrecht, den Vorstoß. "Ich kann mir gar nicht vorstellen, dass das ernst gemeint ist." Die gesetzliche Regelung sei eindeutig. "Die Länder führen das Atomgesetz in Bundesauftragsverwaltung aus. Würde Bayern Atomkraftwerke in Eigenregie weiterlaufen lassen wollen, würde das voraussetzen, dass man das Atomgesetz aus der Bundesverwaltung heraus, und in Länderverwaltung hinein legen müsste. Dafür müsste man aber das Grundgesetz ändern."
Auch der Bonner Atomrechtler Philipp Bender sieht das als den größten Knackpunkt: Es müsste eben nicht nur das Atomgesetz geändert werden, sondern auch die Verfassung. Dafür bräuchte es eine Zwei-Drittel-Mehrheit im Bundestag und Bundesrat und die ist in weiter Ferne.
Bräuchte es eine neue Genehmigung für Isar 2?
In dem unwahrscheinlichen Fall, dass Atomgesetz und Grundgesetz tatsächlich geändert werden, stellt sich gleich darauf die nächste Frage: Braucht Isar 2 eine neue Genehmigung? Ja, laut Atomrechtler Wollenteit. "Seit 2011 ist es aber unzulässig Neugenehmigungen zu erteilen. Außerdem geht eine solche neue Genehmigung nur, wenn das AKW den neusten Stand der Wissenschaft und Technik erfüllt und das würde weit über das hinaus gehen, was in den drei zuletzt abgeschalteten AKWs verwirklicht ist. Bayern müsste also ein ganz neues Kraftwerk bauen, wie zum Beispiel den finnischen Reaktor, der dieses Wochenende ans Netz gegangen ist."
Hier jedoch sind sich die Juristen uneins: Atomrechtler Bender hält eine neue Genehmigung nämlich für nicht nötig. Schließlich sei nur der Leistungsbetrieb am Wochenende beendet worden, das bedeute, die Anlage ist nicht mehr am Netz und darf keinen Strom mehr produzieren. "Das heißt aber nicht, dass die Errichtungs- und Betriebsgenehmigung erloschen ist. Das AKW ist noch im Betrieb – im sogenannten Nachbetrieb."
Technisch könnten die Anlagen laut Bender wieder hochgefahren werden, vorausgesetzt, der Bund würde sich dafür entscheiden. Das funktioniere aber nur, solange Isar 2 noch nicht stillgelegt und zurückgebaut werde. Die Genehmigung für diesen Rückbau muss noch vom bayerischen Umweltministerium erteilt werden, erwartet wird sie Ende des Jahres.
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Was müsste technisch passieren?
Sollte Bayern Isar 2 wirklich weiter betreiben, bräuchte es eine neue Sicherheitsprüfung. Zwar wurden die AKWs laufend kontrolliert, das Atomgesetz sieht aber im Regelfall eine spezielle "periodische Sicherheitsüberpüfung" alle zehn Jahre vor, eine Art Risikoanalyse mit Blick in die Zukunft. Diese Überprüfung wurde 2019 ausgelassen, weil eigentlich Ende 2022 Schluss sein sollte mit der Atomkraft. "Deshalb ist so ein AKW noch lange keine tickende Zeitbombe. Bei einem längeren Weiterbetrieb sollte man die Überprüfung aber nachholen", sagt Atomrechtler Bender. Außerdem müssten vermutlich auch neue Brennelemente beschafft werden.
Der Betreiber von Isar 2, Preussen Elektra, sagte auf BR-Anfrage zum Wiederhochfahren: "Wir blicken nun nach vorn und konzentrieren uns auf die Vorbereitungen des sicheren Rückbaus der Anlage. Die Frage nach einem Weiterbetrieb stellt sich für uns derzeit nicht. Sollte eine konkrete Anfrage der Politik vorliegen, prüfen wir die Möglichkeiten."
Aber wohin dann nur mit dem bayerischen Atommüll?
Seit Jahrzehnten sind Bayerns Staatsregierungen dagegen, dass ein Atom-Endlager nach Bayern kommt. In Bayern gebe es keinen geeigneten Standort für Atommüll, sondern "gute fachliche Argumente, die dagegen sprechen" – darauf beharrt auch Markus Söder. In der Diskussion sind immer wieder Lagerstätten unter Granit-Gestein – etwa im Bayerischen Wald oder im Fichtelgebirge und anderen Gebieten nördlich der Donau.
Aber müsste der Müll nicht in Bayern bleiben, falls Bayern ein AKW auf eigene Faust weiterbetreiben würde? Nicht zwingend, so Atomrechtler Bender: "Die Gesetzeslage sagt: Auch bei der Endlagersuche ist der Bund zuständig, es ist also eine gesamtdeutsche Aufgabe. Wenn Bayern also im Alleingang AKWs weiterbetreiben würde, wäre die Endlagersuche nach jetziger gesetzlicher Lage trotzdem kein rein bayerisches Problem."
Im Video: Diskussion um Söders Forderung nach AKW-Verlängerung

AKW Isar 2
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