Schmetterlinge sind die viertgrößte Tiergruppe der Welt. Andreas Segerer, stellvertretender Direktor der Zoologischen Staatssammlung in München, beschäftigt sich mit ihnen. Das heißt: Mit dem Artensterben ist er täglich konfrontiert. Die Ergebnisse der aktuellen Inventur der 3.311 in Bayern vorkommenden Schmetterlingsarten ist für ihn alarmierend. Es sind nicht nur bereits viele Arten ausgestorben oder verschollen, beklagt Segerer: "90 Prozent der Arten sind im Rückgang begriffen und nur eine Handvoll, fünf bis zehn Prozent der Arten scheint nicht betroffen zu sein." Allein zwischen 1970 und 2000 sind in Bayern ungefähr genauso viele Arten verschwunden wie in den gesamten 200 Jahren zuvor, so der Wissenschaftler.
Schmetterlinge als Fieberthermometer für den Zustand der Natur
Schmetterlinge gelten als Bioindikatoren, sie seien eine Art Fieberthermometer, das uns den Zustand der Umwelt anzeigt, sagt Andreas Segerer. Wenn wir weiter Arten verlieren, können Ökosysteme kippen und damit steht unser Wohlergehen auf dem Spiel, so Segerer. Die Artenkrise gilt laut Wissenschaftlern als eine der zehn wichtigsten Belastungsgrenzen für die Erde.
Auch der Biologe Norbert Schäffer vom Landesbund für Vogel- und Naturschutz (LBV) beobachtet das Ausmaß des Artensterbens: "Wir haben in Bayern in den letzten 40 Jahren in der Agrarlandschaft die Hälfte der Feldvögel verloren." Feldvögel seien ein sehr guter Indikator für biologische Vielfalt insgesamt, so Schäffer. "Wir verlieren nach wie vor tagtäglich Natur. Das ist eine bittere Bilanz."
Karte: Bedrohte und ausgestorbene Arten in den bayerischen Landkreisen
Hoher Flächenverbrauch und intensive Landwirtschaft gelten als wichtigste Ursachen
Warum Arten, die lange Zeit in Bayern heimisch waren, verschwinden – darüber sind sich die beiden Experten einig. Es hat vor allem mit einer veränderten Landnutzung zu tun. "Das wurde zum Teil schon vor über 150 Jahren formuliert, es hat mit dem Verschwinden der Lebensräume zu tun", sagt Andreas Segerer. Eine wesentliche Rolle spielt für ihn dabei neben der Flächenversiegelung die Landwirtschaft. Lange wurde sie so betrieben, dass sie Artenvielfalt sogar gefördert hat. Heute dagegen zerstört moderne intensive Landwirtschaft die Biodiversität. Allen voran durch den hohen Anfall von Stickstoff aus Gülle und den Einsatz von Pestiziden. Wie wissenschaftliche Studien zeigen, gelangen diese auch in Naturschutzgebiete, eigentlich Hotspots der Artenvielfalt.
Meilenstein für den Artenschutz: Volksbegehren "Rettet die Bienen"
Norbert Schäffer vom LBV, wie auch Andreas Segerer, Direktor der Zoologischen Staatssammlung, sehen im bayerischen Volksbegehren "Rettet die Bienen" einen Meilenstein. "Wir sind noch davon entfernt, dass man tatsächlich von einer Trendwende sprechen könnte", so Schäffer. "Aber wenn es konsequent umgesetzt wird, bringt es viel." Einige wichtige Maßnahmen seien schon realisiert. "Es gibt mehr Waldschutzgebiete, entlang von Gewässern werden Pufferstreifen angelegt, Streuobst wird gefördert und es wird deutlich mehr Personal und Geld bereitgestellt." Aber Norbert Schäffer sieht auch noch große Herausforderungen, zum Beispiel beim Biotopverbund in der Agrarlandschaft. "Da wollen wir einen Flächenanteil von 15 Prozent für den Biotopverbund erreichen, als Rückzugsorte für Tiere und Pflanzen."
Öko-Landbau fördert Artenvielfalt
Auch Andreas Segerer lobt die Maßnahmen in Folge des Volksbegehrens, sieht aber insbesondere beim Ausbau des Öko-Landbaus in Bayern noch viel Luft nach oben. Das Ziel, den Flächenanteil des Ökolandbaus in Bayern bis 2030 auf 30 Prozent der landwirtschaftlich genutzten Fläche zu erhöhen, sei noch in weiter Ferne. Für den Artenschutz wäre das aber wichtig: "Es gibt genügend Untersuchungen, die zeigen, dass die Artenvielfalt auf ökologisch bewirtschafteten Flächen um ein Vielfaches höher ist", so Segerer.
Aber auch konventionelle, kleinteilige Landwirtschaft, die wenig Dünger und Pestizide einsetze, sei förderlich, so der Schmetterlingsforscher. Landwirte bräuchten andere Voraussetzungen, einen Systemwechsel, damit sie mit naturverträglicher Landbewirtschaftung ein sicheres Auskommen erzielen könnten.
Artenkrise und Klimakrise sollten zusammengedacht werden
Norbert Schäffer vom Landesbund für Vogel- und Naturschutz beobachtet, dass das Bewusstsein und das Interesse für Artenvielfalt in der Bevölkerung zugenommen haben. Einfach zu lösen sei die Artenkrise nicht. "Wir müssen uns von dem Gedanken verabschieden, dass es einen Schalter gibt, den wir vielleicht jetzt in Montreal umlegen bei der Biodiversitätskonferenz." Auch die fortschreitende Erderwärmung gefährde die biologische Vielfalt.
Artenschutz und Klimaschutz auf internationaler Bühne und vor unserer Haustüre zusammen angehen, das wünschen sich die beiden Biologen. Dann bräuchte es auch keine zwei Konferenzen mehr, wie dieses Jahr in Ägypten und Kanada, sondern nur noch eine. Und in Bayern könnten zum Beispiel entwässerte Moore großflächig renaturiert werden. Das wäre ein Gewinn für den Artenschutz und gleichzeitig auch für den Klimaschutz.
Das ist die Europäische Perspektive bei BR24.
"Hier ist Bayern": Der BR24 Newsletter informiert Sie immer montags bis freitags zum Feierabend über das Wichtigste vom Tag auf einen Blick – kompakt und direkt in Ihrem privaten Postfach. Hier geht’s zur Anmeldung!