Wildblumenwiese vor einem Mehrfamilienhaus.
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Architektur und Psychologie: Wie Räume auf Menschen wirken

Räume haben einen großen Einfluss auf unser Wohlbefinden, das wissen wir seit Jahrhunderten. Doch erst jetzt spielen Erkenntnisse aus der Architektur-Psychologie beim Bau von Krankenhäusern oder bei der Städteplanung wieder eine wichtigere Rolle.

Über dieses Thema berichtet: BR24 im Radio am .

"Zuerst prägt der Mensch den Raum, dann prägt der Raum den Menschen", hat Winston Churchill einmal gesagt. Der ehemalige britische Premierminister bezieht sich dabei auf das komplizierte Wechselspiel von Raum und Psyche - denn die Umgebung, in der wir uns befinden, wirkt sich immer auf uns Menschen aus.

Funktionaler Hausbau und "Bedarfsdeckung" nach dem Weltkrieg

Ob herrschaftliche Treppenhäuser, stuckverzierte Decken oder kunstvolle Jugendstil-Außenfassaden: Die früheren Baumeister wussten sehr gut, dass Architektur und die Gestaltung der Räume einen wichtigen Einfluss auf unser Wohlbefinden haben.

Doch nach dem Zweiten Weltkrieg spielte das vielerorts keine Rolle mehr. Zerstörte Altbauten wurden durch schmucklose Mietshäuser ersetzt; es ging bei Planung und Umsetzung vor allem darum, schnellen und günstigen Wohnraum zu schaffen.

In manchen Ballungsräumen, wie beispielsweise in München-Neuperlach, entstanden in den 1960er- und 1970er-Jahren sogar komplett neue Stadtteile aus architektonisch fast einheitlichen, dichtbebauten Hochhaussiedlungen.

"Erst nachdem wir die Bedarfsdeckung nach dem Krieg erledigt haben, erst dann haben wir angefangen zu überlegen, was Architektur, was Räume, mit dem Menschen eigentlich macht", so Birgit Dietz von der TU-München. Wissenschaftliche Forschungen zum Thema Architektur-Psychologie gebe es sogar erst seit den 1980er-Jahren.

Je unsicherer der Mensch ist, desto mehr Einfluss hat die räumliche Umgebung

Birgit Dietz ist nicht nur Lehrbeauftragte an der Fakultät für Architektur an der TU München, sie leitet auch das Bayerische Institut für alters- und demenzsensible Architektur in Bamberg. Mit ihrem Team berät sie unter anderen den Bau von Krankenhäusern oder Alten- und Pflegeeinrichtungen. Denn, so Dietz, der Einfluss von Architektur und Raum auf das Wohlbefinden betreffe uns zwar alle, besonders wichtig sei das aber bei denjenigen, die sich nicht mehr so leicht an die Umgebung anpassen können - also insbesondere ältere oder kranke Menschen.

"Wir wissen, dass die Wirkung von Architektur bei kranken Menschen wesentlich intensiver ist. Bei älteren Menschen oder Menschen mit Demenz ganz besonders. Je unsicherer der Mensch ist, desto mehr Einfluss hat die räumliche Umgebung auf ihn und sein Wohlbefinden, sein Wohlfühlen und die Gesundheit." Dr. Birgit Dietz, Architektin

Der Blick ins Grüne heilt

Ältere und kranke Menschen leiden besonders, wenn ihnen die Umgebung, in der sie sich befinden, nicht guttut. Bereits 1984 konnte der schwedische Architekt Roger Ulrich nachweisen, dass der Blick ins Grüne die Heilung nach einer Operation beschleunigt. Mehrere Studien haben gezeigt, dass Menschen, die sich in einem Krankenhaus wohlfühlen, weniger anfällig für Infektionen sind, weil dadurch weniger Stress ausgelöst wird.

Wird beim Umbau oder bei der Planung von Krankenhäusern oder Pflegeheimen deshalb überall darauf geachtet, dass jedes Zimmer beispielsweise große, offene Fenster ins Grüne hat? Dass die Gänge großzügig, hell und warm gestaltet sind?

Nein, sagt Birgit Dietz, noch immer gebe es viele Gebäude im Gesundheitswesen, wo diese Aspekte völlig ignoriert werden. "Für alte oder kranke Menschen ist es oftmals eine Frechheit, was wir an Architektur zumuten."

Viel Licht, wenig Lärm, natürliche Materialien

Die Architektin hat erst kürzlich für das Staatsministerium für Gesundheit und Pflege mehrere Jahre lang ein Projekt betreut, wo es darum ging, mit einfachen Maßnahmen in zehn oberfränkischen Tageseinrichtungen und Pflegeheimen für mehr Wohlbefinden zu sorgen.

Dabei wurde beispielsweise schon bei der Planung darauf geachtet, dass sich die Räume deutlich voneinander abgrenzen und dadurch besser erkennbar sind. Auch eine gute Akustik muss herrschen, denn wenig Lärm bedeutet auch wenig Stress, erklärt Dietz. Für ältere Menschen ist dies besonders wichtig, weil sie Umgebungsgeräusche nicht mehr so gut filtern können und dadurch auch die Sprachverständlichkeit gefördert wird.

Ein gutes Licht, also durch große Fenster, beeinflusst die Aktivität und Entspannung und fördert einen natürlichen Tag- und Nachtrhythmus. Auch die Farben wurden sorgsam ausgewählt, denn ältere Menschen haben nicht nur Schwierigkeiten, zum Beispiel einen weißen Lichtschalter auf einer weißen Wand zu erkennen, sie sehen warme Farben generell besser und mögen sie meistens auch lieber, so Dietz.

Einen Raum mit allen Sinnen wahrnehmen

Natürliche Materialien, die wie Holz auch noch angenehm riechen, vermitteln ein Gefühl von Behaglichkeit. Vor allem bei alten und kranken Menschen ist es wichtig, dass ein Raum durch alle Sinne wahrnehmbar ist. Wenn Birgit Dietz den Bau von Krankenhäusern oder Pflegeheimen betreut, dann achtet sie genau auf diese Dinge.

"Wir konnten insgesamt zu mehr Orientierung im Haus, zu mehr Ruhe, zu einem höheren Sicherheitsempfinden und zu mehr Selbstständigkeit der Bewohner führen. Das heißt, das geht eigentlich ganz einfach, man weiß, was man tun kann - oft sind es ganz, ganz einfache Dinge, wir müssten's einfach anpacken!" Dr. Birgit Dietz, Architektin

Was muss Architektur leisten, damit eine Stadt lebenswert bleibt?

"Einfach anpacken", das geht bei der Planung und Umsetzung von einzelnen Bauwerken, doch wie sieht es bei ganzen Stadtvierteln aus? Gerade in Ballungsräumen wie München, wo Menschen und Häuser notgedrungen immer näher aneinanderrücken?

Was muss da Architektur leisten, damit eine Stadt lebenswert bleibt und sich die Menschen wohlfühlen? Erst einmal brauche es viele Begegnungsorte, sagt dazu die Stadtbaurätin von München, Elisabeth Merk.

"Ich glaube was deutlich geworden ist, in den letzten Jahrzehnten, ist, dass der öffentliche Raum, also das Stadtquartier, dort, wo man sich begegnet, eine enorme, neue Bedeutung erhalten hat." Prof. Elisabeth Merk, Stadtbaurätin von München.

Wichtig da, wo viele Menschen sind: Begegnungsorte

Bei der Planung von Wohnanlagen werde deshalb verstärkt darauf geachtet, Möglichkeiten der Begegnung zu schaffen: "Früher gab es Dachterrassen nur für die Luxuswohnungen im Penthouse und wir sind seit zehn Jahren dabei, dass wir auch beim Geschosswohnungsbau gemeinsame Dachgärten vorschlagen und auch anordnen. Ich glaube, man braucht sehr unterschiedliche Angebote: die kleinen Rückzugsorte und die größeren Begegnungsorte", so die Architektin.

Damit sich die Menschen in ihrem Viertel wohlfühlen, sei es außerdem sehr wichtig, dass sich auch in unmittelbarer Wohnungsnähe - und nicht erst im nächsten Park - grüne Oasen und Sitzgelegenheiten befinden.

Ein Gemeinschaftsgarten und eine gute Anbindung an den öffentlichen Nahverkehr, Einkaufsmöglichkeiten, Cafés und Spielplätze - für kleine aber auch für größere Kinder - sorgen ebenfalls für mehr Lebensqualität, sagt Stadtbaurätin Merk.

Gestaltung im Detail spielt auch bei Siedlungen eine große Rolle

Die Gestaltung im Detail spielt nicht nur im einzelnen Raum, sondern auch bei der Planung von ganzen Wohnanlagen oder Siedlungen eine große Rolle. Denn das habe nicht nur Auswirkungen darauf, wie die Menschen ihre Umgebung wahrnehmen und ob sie sich wohlfühlen, sondern könne sogar die "psychologische Akzeptanz von Dichte" beeinflussen, erklärt Merk. Konkret bedeutet das, kleine bauliche Maßnahmen können dafür sorgen, dass die räumliche Nähe zu anderen Menschen nicht mehr als störend, sondern im Idealfall sogar als positiv empfunden wird.

"Oft geht's darum, dass vielleicht der kleine grüne Vorbereich leicht erhöht ist und nicht auf der gleichen Ebene wie der Gehweg liegt. Wir wollen jetzt auch wieder öfter barrierefreie Hochparterre-Wohnungen", so Merk. Werden Innenhöfe, Gärten oder Spielplätze etwas höher als die Straße angelegt, schaffe man dadurch nicht nur Differenzierungen im Raum, sondern gleichzeitig auch neue Treffpunkte.

In der neuen Wohnanlage am Prinz-Eugen-Park in München (siehe Bildergalerie unten) sind die Stockwerke beispielsweise durch eine breite geschwungene Treppe miteinander verbunden und diese Treppe soll nicht nur dazu dienen, nach unten oder oben zu kommen: Kinder spielen darauf und können an einer Seite sogar herunterrutschen, die Bewohnerinnen und Bewohner im oberen Stockwerk haben Pflanzen und Sitzgelegenheiten aufgestellt. "Obwohl es nur eine Treppe ist, sieht es räumlich ganz spannend aus", sagt die Stadtbaurätin.

Auch in der Siedlung am Prinz-Eugen-Park wurden größtenteils natürliche Materialien verbaut: Die Außenfassaden der Wohnhäuser sind aus Holz, die Vorgärten werden nicht durch Stein- oder Betonmauern voneinander abgetrennt, sondern mit dekorativen Zäunen aus Holzscheiten - mit kleinen Sichtfenstern und Blumen darin.

Menschen gestalten ihr Stadtviertel selbst mit

Wichtig bei der Stadtplanung sei mittlerweile auch der Gedanke der sogenannten "partizipativen Stadt". Dass die Bewohner selber mitgestalten, wie der öffentliche Raum und ihr Wohnumfeld aussieht, sei jetzt der größte Unterschied zu Zeiten von Neuperlach oder der Messestadt Riem, wo es solche Initiativen erst im Nachhinein gab, erklärt Merk.

Kürzlich habe es in der Stadtsanierung beispielsweise ein Projekt namens "Bank und Baum" gegeben. "Da haben die Bewohner des Stadtviertels gesagt: 'Wir brauchen gar nicht so viele durchgemeterte neue Alleen, wir wollen da eine Bank und dort eine Bank und da noch einen Baum und da sind wir gerne und treffen wir uns."

Verschiedene Bevölkerungsgruppen wieder zusammenbringen

Bei der Gestaltung von neuen Stadtvierteln geht es aber nicht nur um architektonische Details und die Schaffung von Begegnungsorten. Mittlerweile wird auch viel Wert darauf gelegt, die verschiedenen Bevölkerungsgruppen wieder mehr zusammenzubringen.

"Was hat man von Neuperlach gelernt? Kleinteiligere Strukturen. Ich würde vorschlagen einen Spaziergang durch den Prinz-Eugen-Park, wo man sieht, dass sehr unterschiedliche Wohntypologien - also Baugemeinschaften, Genossenschaften, privater Wohnungsbau und sozialer Wohnungsbau - zusammenkommen und gemeinsam Nachbarschaften definieren." Elisabeth Merk, Stadtbaurätin von München

Ziel von Architektur und Gestaltung müsse deshalb bei der Stadtplanung auch immer sein, dass es mit einfachen Mitteln umsetzbar ist, betont Merk. Denn lebenswerter Wohnraum in einem angenehmen Umfeld sollte für alle Menschen bezahlbar sein.

Hinweis: Bitte das erste Bild in der Bildergalerie anklicken, damit die Beschreibung angezeigt wird.

Wohnquartier der Zukunft? - Die Mustersiedlung am Prinz-Eugen-Park

Am Prinz-Eugen-Park in München ist kürzlich mit rund 570 Wohnungen die größte Holzbausiedlung in Deutschland errichtet worden. Mit der ökologischen, sozialen und architektonischen Mustersiedlung wollte die Landeshauptstadt München nicht nur den modernen Holzbau etablieren, sondern auch neue Maßstäbe in Sachen Klimaschutz und Stadtentwicklung setzen.

In der Siedlung gibt es ganz unterschiedliche Gebäudetypen, die Stadt hat dafür ein eigenes Förderprogramm ins Leben gerufen. 453 Wohnungen sind gefördert oder frei finanziert. Der Rest sind Eigentumswohnungen oder Baugemeinschaften.

In dem Wohnquartier wurden außerdem zwei Kindergärten, ein überdachter Marktplatz und ein Eiscafé errichtet. Es gibt viel Raum für gemeinschaftsorientierte Nutzungen, wie zum Beispiel Werkstätten, Co-Working-Spaces, Gemeinschaftsräume, gemeinschaftlich genutzte Dachterrassen und kleine Gärten für den Obst- und Gemüseanbau im Innenhof.

Auch Pandemie zeigt, wie wichtig ein angenehmes Umfeld ist

Das neue Viertel am Prinz-Eugen-Park in München zeigt, dass auch in dichtbesiedelten Gebieten lebenswerte Wohnräume entstehen können, wenn bei der Planung und Umsetzung auch Aspekte aus der Architektur-Psychologie eine Rolle spielen.

Birgit Dietz und ihr Team konnten schon durch einfache bauliche Maßnahmen für mehr Sicherheit, Orientierung und Behaglichkeit in Krankenhäusern und Pflegeheimen sorgen.

Ob die Gestaltung des einzelnen Raumes oder die Architektur ganzer Viertel: Spätestens seit der Pandemie wissen wir, wie wichtig es ist, dass wir uns in unseren Räumen wohlfühlen - und: dass uns auch direkt vor der Haustüre eine Möglichkeit der Erholung und ein Ort der Begegnung guttun.

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