Tilman Schaich sieht den Ausbau des Apple-Standorts in München kritisch. Er ist Mitgründer von "#ausspekuliert", einer Münchner Bürgerinitiative, die sich für bezahlbaren Mieten in der bayerischen Landeshauptstadt einsetzt. Ein schwieriges Unterfangen, wenn man bedenkt, dass der Mietspiegel in München, wie vergangene Woche bekannt wurde, um 21 Prozent gestiegen ist - und das innerhalb von zwei Jahren. Bei Neuvermietungen liegt der Quadratmeterpreis in München nun im Durchschnitt bei 16,07 Euro.
München wird zum "Isar-Valley"
In der bayerischen Landeshauptstadt haben sich in den vergangenen Jahren viele Tech-Konzerne angesiedelt. Neben Apple, das schon seit den 1990ern in München ansässig ist, kamen dazu noch Amazon, Yahoo, Microsoft und auch Google in die Stadt an der Isar. Auch was die Anzahl der Startup-Gründungen in Deutschland betrifft, ist München vorn dabei. Im Jahr 2022 wurden laut einer Studie die meisten Start-ups nicht mehr in Berlin, sondern in München gegründet. Der Begriff "Isar-Valley" hat Eingang in den allgemeinen Sprachgebrauch gefunden und ist eine Anlehnung an das Silicon-Valley, dem zentralen, fast schon sagenumwobenen Gründungsort in Kalifornien für Start-ups aller Art.
Warum das für die Mittelschicht zum Problem wird
Der Münchner Mietaktivist Tilman Schaich befürchtet, dass sich in der Isarmetropole ähnliche Verhältnisse entwickeln könnten, wie man sie über Jahre aus jenem kalifornischen Tal gehört hat. Dort hat sich aufgrund des Erfolgs der Gründer-Unternehmen der Wohnungsmarkt so verteuert, dass man dort sogar mit einem gut dotierten Gehalt lange nach bezahlbarem Wohnraum suchen muss. Allein in den letzten Jahren sei das Angebot auf dem Münchner Wohnungsmarkt so knapp und damit teuer geworden, sagt Schaich, dass es schwierig sei für die Mittelschicht in München wohnen zu bleiben.
Mietpreise steigen und steigen
In der Tat lassen einen die Münchner Verhältnisse auf dem Mietmarkt manchmal staunend zurück. Um in den Genuss einer von der Stadt München geförderten Mietwohnung zu kommen, darf eine Familie mit drei Kindern ein Einkommen von bis zu 122.000 Euro vorweisen. Erst im vergangenen Oktober verabschiedete der Stadtrat das neue Wohnungsbauprogramm. In den nächsten fünf Jahren will München den Wohnungsbau in der Stadt mit rund zwei Milliarden Euro fördern - ein Betrag, der in Deutschland, was die kommunale Wohnbauförderung betrifft, sonst kaum zu finden sein dürfte. Doch ob all das die Nachfrage befriedigen und damit den Preis nach unten treiben wird, das glaubt Tilman Schaich nicht.
Wirtschaftsreferent sieht Spaltung der Gesellschaft
Clemens Baumgärtner (CSU) schüttelt, wenn er Vergleiche mit dem Silicon-Valley hört, den Kopf. In den USA habe man eine ganz andere Sozialstruktur als in Deutschland, sagt der städtische Wirtschaftsreferent. Er ist unter anderem dafür verantwortlich, den Standort München so attraktiv wie möglich zu machen. Baumgärtner empfindet die Diskussion, wer nach München soll, darf und wer nicht, als spalterisch. "Das ist eine Teilung der Gesellschaft, die mit nichts, aber auch gar nichts sachlich begründet ist", sagt Baumgärtner. Wenn Apple nicht kommen dürfe, dürften sich auch Handwerker hier nicht mehr ansiedeln, das sei doch Irrsinn, findet er.
München war immer schon Heimat großer Unternehmen
Der Wirtschaftsreferent erinnert daran, dass auch in der "guten alten Zeit", als von Isar-Valley noch nichts zu lesen war, in München schon große Unternehmen ansässig waren. In den sechziger, siebziger und neunziger Jahren sei Siemens beispielsweise das Vorreiter-Tech-Unternehmen in München gewesen und habe vielen Menschen in der Stadt gut bezahlte Arbeitsplätze geboten.
Wirtschaftsreferent: Brauchen diese Arbeitsplätze
Allerdings habe Siemens in den letzten Jahrzehnten große Teile seines Geschäfts aufgegeben und damit seien viele Arbeitsplätze verschwunden - auch in München. Genauso verhalte es sich mit der immer kleiner werdenden Autoindustrie. Unternehmen wie Apple würden deswegen die Möglichkeit bieten, so Baumgärtner, die Münchner Unternehmenslandschaft in die Zukunft zu transferieren und damit Arbeitsplätze sichern. Außerdem würden auch Apple Mitarbeiter keine Wundergehälter verdienen.
Kultviertel werden weniger
"Menschen, die bei Apple arbeiten, verdienen in der Regel nicht einen Appel und ein Ei, sondern mehr", sagt Moses Wolff, mit einem Schmunzeln auf den Lippen. Wolff ist ein Münchner Urgestein und mit seiner blütenweißen Mütze nebst ebenso blütenweißem Kaschmirschal bereits von Weitem zu erkennen. Wolff wohnt im Münchner Gärtnerplatzviertel. Einst zogen hier der Regisseur Rainer Werner Fassbinder und auch Queen-Sänger Freddy Mercury um die Häuser - doch das sind Tempi passati, längst vergangene Zeiten. Aus dem einstigen Künstlerviertel mit vielen heruntergekommenen Häusern ist mit den Jahren eine Perle von Immobilienlage an der Isar mit schönen Häuserfassaden geworden.
Gentrifizierung: Halbe Bier für sechs Euro
Gentrifizierung nennt man diesen schleichenden Strukturwandel in Großstädten. Durch den Immobilienboom der letzten Jahre und die Corona-Pandemie hat sich der Wandel in München jedoch nochmal beschleunigt. Dazu kommt die Inflation. Vergangene Woche machte in München ein Gasthaus Schlagzeilen, weil es für eine halbe Maß Bier sechs Euro verlangt. Das können sich viele Menschen nicht mehr leisten. Viele Künstler seien in den vergangenen Jahren aus München weggezogen, sagt Wolff. Auch bei Studierenden bemerkt er, dass sich viele eher Unis in kleineren Städte suchen.
Weniger kreative Freiräume
Zwar betont der Kabarettist, dass in München sehr viel für die Kultur getan werde, dass die örtliche Politik und das städtische Kulturreferat fördere, wo es möglich sei. Als Beispiel nennt er die Kulturzentren "Glockenbachwerkstatt" und das "Import Export". Und dennoch: Orte, die kreative Freiräume böten, würden weniger. Der seit 20 Jahren existierende Technoclub "Harry Klein", ein Fixpunkt des Münchner Nachtlebens, schließt im März seine Türen. Ein Investor möchte das Gebäude abreißen und dort ein Hotel errichten.
Warum München die Tech-Riesen braucht
Das Problem der sich stetig verteuernden Innenstädte sei ein Phänomen, das München mit ganz vielen Städten der Welt teile, sagt Wirtschaftsreferent Baumgärtner. Das habe nichts mit den sich hier ansiedelnden Unternehmen per se zu tun. Im Gegenteil, man brauche Tech-Konzerne wie Apple und Google, um im internationalen Vergleich nicht zurückzufallen. Von den rund 7,5 Milliarden Euro des städtischen Haushalts kämen rund 3 Milliarden Euro durch die Gewerbesteuer und daran tragen laut Baumgärtner die in München ansässigen Tech-Unternehmen einen großen Anteil. Von diesem Geld würde die Kultur genauso profitieren, wie der Bereich des Sozialen oder die öffentliche Infrastruktur, so der Referent.
In der Tat hat München, was zum Beispiel den Verkehr betrifft, einiges vor. So sollen der ÖPNV und die Radinfrastruktur stark ausgebaut werden. Da jedoch Zuschüsse aus dem Bund bisweilen auf sich warten lassen, finanziert die Stadt einen Teil der Verkehrsprojekte selbst. Daneben sind Kindertagesstätten in der bayerischen Landeshauptstadt derzeit größtenteils gebührenfrei und auch das Kulturzentrum Gasteig soll saniert werden - wann und wie, steht noch nicht fest.
Unternehmen sollen sich in München engagieren
Auch Moses Wolff, der Kabarettist aus dem Gärtnerplatzviertel, und Mietenaktivist Tilman Schaich sind nicht per se gegen die Ansiedelung von Unternehmen. "Ich wünsche mir von Apple und Google, wenn sie hierherziehen, dass sie dann auch einen Teil ihres Gewinns in die freie Kulturszene stecken", sagt Wolff. Auch Tilman Schaich findet es prinzipiell gut, wenn Unternehmen in München investieren. Die Frage sei, ob auch in bezahlbaren Wohnraum investiert werde, so Schaich. Siemens hatte beispielsweise in seinen Hochzeiten rund 2.300 Werkswohnungen in der Landeshauptstadt.
Das ist die Europäische Perspektive bei BR24.
"Hier ist Bayern": Der BR24 Newsletter informiert Sie immer montags bis freitags zum Feierabend über das Wichtigste vom Tag auf einen Blick – kompakt und direkt in Ihrem privaten Postfach. Hier geht’s zur Anmeldung!