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Ein Spielgerät auf einem Kinderspielplatz

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Angezündeter Bub: Jugendamt sah keine Hinweise auf Gefahr

Selbst als ihr schwer verletzter Sohn kaum mehr ansprechbar ist, gehen die Eltern mit ihm nicht zum Arzt - aus Sorge, das Jugendamt könnte Wind davon bekommen. Das Paar wurde zu langen Haftstrafen verurteilt. Das Jugendamt hat sich jetzt geäußert.

Über dieses Thema berichtet: Mittags in Niederbayern und Oberpfalz am .

Warum war das Jugendamt Cham nicht früher eingeschritten? Diese Frage stellten sich viele, als vor Gericht die Lebensverhältnisse der Familie bekannt wurden. Die Familie zog erst drei Monate vor dem Unfall nach Waldmünchen. Die fünf Kinder waren teilweise verwahrlost, die Wohnung verschmutzt. Die Eltern hatten mit der Erziehung wenig am Hut.

Der Leiter des Jugendamts Cham, Markus Biebl, sagt, das reichte aber nicht, um die Kinder aus der Familie zu nehmen.

"Vor diesem Vorfall hatten wir keine Hinweise auf eine Kindeswohlgefährdung. Also hatte wir keine Befugnis, hier einzugreifen. Wir haben keine Hinweise bekommen. Weder von der Bevölkerung noch von den Schulen." Markus Biebl

Die Erziehungshilfe, die das Jugendamt angeboten hatte, lehnten die Eltern ab. Bei drei Hausbesuchen öffneten sie nicht, dann gab es einen Erörterungstermin am Familiengericht, zu dem es nicht mehr kam. Nach dem Unfall holten Jugendamt und Polizei den schwerverletzten Buben und die Geschwister ab.

"Den Jungen im Stich gelassen"

Als eine Mitarbeiterin des Jugendamtes vor dem Haus der Familie steht und nach dem verletzten Kind fragt, zeigt die Mutter einen ihrer anderen Söhne. Nur zufällig beim Gang durch das Haus findet die Behördenmitarbeiterin dann das kaum mehr ansprechbare Kind auf dem Sofa. Es zittert am ganzen Körper und wimmert vor sich hin.

Aufarbeitung im Gerichtssaal

Die Jugendkammer versuchte, mit mehr als 40 anderen Zeugen Licht ins Dunkel zu bringen. "Es bleibt aber ein sehr pauschales Bild", sagte der Vorsitzende Richter Carl Pfeiffer bei der Urteilsbegründung. Als gesichert gilt, dass die Mutter am 30. September 2016 mit einem in Brand geratenen Benzinkanister im Garten hantierte. Dabei erlitt der Junge, der direkt daneben stand, Brandverletzungen zweiten und dritten Grades. Etwa 15 bis 18 Prozent seiner Haut waren laut einem Sachverständigen betroffen. Weil das Paar schon am früheren Wohnsitz Probleme mit den Behörden hatte, verständigte es nach Überzeugung des Gerichts aus Angst vor dem Jugendamt keinen Arzt - auch nicht, als es dem Kind von Tag zu Tag schlechter ging und die Wunden nässten. "Sie haben den Jungen vier Tage im Stich gelassen", sagte Pfeiffer.

"Der Junge wäre gestorben"

Die Jugendkammer wertete das als schwere Misshandlung von Schutzbefohlenen durch Unterlassen. Die Mutter wurde zudem wegen fahrlässiger Körperverletzung verurteilt. Weil sie wegen einer psychischen Erkrankung als eingeschränkt steuerungsfähig gilt, fiel das Strafmaß bei der 37-Jährigen geringer aus als beim gleichaltrigen Vater. Angeklagt war das Paar wegen versuchten Mordes durch Unterlassen.

Die Kammer ging aber davon aus, dass die Eltern den Tod des Jungen nicht billigend in Kauf genommen haben. Vier Tage nach dem Brand hatten sie ihren verletzten Jungen mit zu einer Tankstelle genommen, um dort ein Paket aufzugeben. Das Risiko, dass das Kind dort womöglich kollabiere, hätten die Eltern nach Auffassung des Gerichts nicht in Kauf genommen, wäre ihnen der volle Ernst der Lage bewusst gewesen. Gleichwohl betonte der Richter:

"Der Junge wäre ohne ärztliche Behandlung gestorben - das war keine Frage ob, sondern wann." Richter Carl Pfeiffer

Mehrere Operationen

Die Pächterin der Tankstelle hatte Jugendamt und Polizei informiert, weil ihr das Verhalten und die Verletzungen des Kindes merkwürdig vorgekommen waren. Der Junge habe sein Leben der Tankstellenpächterin und dem Jugendamt zu verdanken, betonte der Richter. 

Der Junge musste mehrere Operationen und Hauttransplantationen über sich ergehen lassen. Als er aus der Narkose aufwachte, sagte er zu den Ärzten:

"Meine Mama hat mich angezündet." Schwerverletzter Junge

Er leidet noch immer an den dramatischen Ereignissen. Ein Sachverständiger beschrieb ihn als verhaltensaggressiv. "In dem kleinen Jungen ist eine Wut ausgelöst worden, was aus dem Alleingelassensein resultiert", sagte der Richter.