Die MS Rossini liegt am Anleger.
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Wohin mit der gestiegenen Zahl an Geflüchteten? Wie sollen die Menschen integriert werden? Kommunen und Helfer vor Ort sind ausgelastet.

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Am Limit? Wie bayerische Kommunen mit Geflüchteten umgehen

Seit Monaten schlagen Landkreise, Städte und Gemeinden Alarm: Wohin mit der gestiegenen Zahl Geflüchteter? Wie soll dauerhafte Integration gelingen? Kommunen und Helfer vor Ort sind ausgelastet. Und vom Bund enttäuscht. Ein Beispiel aus Regensburg.

Über dieses Thema berichtet: Abendschau am .

Die MS Rossini liegt ruhig auf der Donau. Auf der weißen Bugspitze tanzen die Reflexe der Donau. Nur das Brummen der Dieselgeneratoren, die die Elektrik des Schiffs am Laufen halten, stört die Idylle. Das 110 Meter lange Hotelschiff hat in Bach an der Donau festgemacht, einer Gemeinde im Regensburger Landkreis mit etwa 1.000 Einwohnern.

Doch die MS Rossini fährt seit fast drei Monaten keinen Meter mehr. Denn sie wird im Landkreis Regensburg gebraucht: als Notunterkunft. Statt Touristen haben rund 150 Geflüchtete aus Syrien und dem Iran die Doppelkabinen an Bord bezogen.

  • Zum Artikel: Demos für und gegen das Schiff für Flüchtlinge in Bach

MS Rossini: Ein Schiff als Notunterkunft

Aus dem Schiff wurde eine Notunterkunft, weil die Erstaufnahmeeinrichtung der Regierung im nahegelegenen Regensburg seit Monaten ausgelastet ist. Der Landkreis musste einspringen. "Die ganze Situation ist angespannt", sagt Landrätin Tanja Schweiger. Aus Mangel an Gewerbehallen und weil Schweiger die Turnhallen für den Vereins- und Schulsport freihalten will, entschied sie sich für das Hotelschiff. Wohl auch als Botschaft, denn das Schiff macht bundesweit Schlagzeilen.

Landrätin: "Die Bundesregierung ist völlig abgetaucht"

Landrätin Schweiger wie auch ihre Landratskollegen warnen seit Wochen vor einer Überlastung und fordern Unterstützung von der Bundesregierung. Bisherige Migrationsgipfel haben aber keine nennenswerten Ergebnisse gebracht, so Schweiger.

"Die Bundesregierung ist ja völlig abgetaucht. Das Einzige, was wirklich deutlich ist, ist: Sie wollen die Situation nicht managen. Sie ignorieren die ganze Thematik. Und arbeiten in keinster Weise an irgendwelchen Lösungen." Tanja Schweiger, Landrätin von Regensburg

Dabei sei der Mangel an Unterkünften nur eines von vielen ungelösten Problemen, für die die Kommunen nun Lösungen finden müssten. Als größere Herausforderung sieht Schweiger die Integration – bei einer steigenden Zahl an Geflüchteten.

Landkreis organisiert Deutschkurse

Auf dem Hotelschiff MS Rossini organisiert der Landkreis nun Deutschkurse. Vor dem weißen Flügel, der in der Spitze des zum Bug auslaufenden Salons steht, stellen die Geflüchteten Stühle in einem Halbkreis auf. Vier Mal die Woche, drei Stunden am Tag lernen sie hier deutsche Vokabeln und erste, einfache Sätze.

João Rocha ist der Kursleiter. Der gebürtige Brasilianer hat in seiner Heimat Germanistik studiert. Seit 2014 lebt er in Deutschland und unterrichtet nun selbst die Sprache. "Ich kann mir keine Integration ohne die Beherrschung der deutschen Sprache vorstellen", sagt er, während er die Anwesenheit kontrolliert. Einige Geflüchtete schwänzen heute seinen Kurs. Rocha hat dafür kein Verständnis. "Wenn man die deutsche Sprache sprechen kann, kann man sich verständigen, kann man arbeiten, kann man Deutsche kennenlernen. Dann geht es weiter."

Lange Asylverfahren: Scheideweg für Integration?

Alexander Damm macht sich auf den Weg in die Bäckerei von Bach an der Donau. Damm, Hauptmann der Reserve, gut 1,90 Meter groß, ist im Regensburger Landratsamt verantwortlich für die Unterbringung von 1.200 Geflüchteten. Aus diesem Grund sucht er auch das Gespräch mit den Bürgern vor Ort. Denn auch in Bach waren die Sorgen anfänglich groß, dass die Geflüchteten etwas anstellen könnten, aus Langweile.

Das sei aber nicht der Fall, versichert Damm. Die Befürchtungen führt er darauf zurück, dass es in Bach bisher wenig Erfahrungen mit Geflüchteten gab. Denn für diese sei am Anfang wichtig, anzukommen. Da stelle niemand etwas an. Damm, der schon viele Abschiebungen durchgeführt hat, kennt aber auch die Schattenseiten.

"Wenn wir es in den nächsten zwei, drei Jahren nicht schaffen, die Menschen zu integrieren und in Arbeit zu bringen, dann kann es bei dem ein oder anderen doch dazu kommen, dass er auch abdriftet und straffällig wird." Alexander Damm, Leiter Ausländeramt Landkreis Regensburg

Aus Mangel an Kursen, Geld und Personal gestalte sich die Integration derzeit aber schwer, stellt Damm fest. Und: Abgelehnte Asylbewerber werden derzeit nicht abgeschoben. Trotz Dublin-Verordnung, die vorschreibt, dass ein Geflüchteter in dem EU-Land leben muss, wo er zuerst registriert wurde, bleiben viele Geflüchtete im Land. Denn Länder wie Italien und Spanien nehmen keine Geflüchteten mehr zurück, so Damm. "Dublin ist tot."

Verteilungsprobleme von Geflüchteten in der EU

Für Abensbergs Bürgermeister Uwe Brandl muss die Bundesregierung mehr Druck auf die EU-Staaten machen. "Wir müssen die europäische Solidarität einfordern. Ich bin nicht damit zufrieden, wenn ich aus Brüssel höre: Wir haben alles versucht, aber die Länder sind nicht zu bewegen", sagt Brandl, der auch Präsident des Deutschen Städte- und Gemeindebunds ist.

Aber auch in der deutschen Haltung brauche es eine klare Linie. Konkret: Schnelle Asylprüfungsverfahren und eine erleichterte Eingliederung derer, die in Deutschland arbeiten und sich integrieren. Dafür brauche es mehr Geld und mehr Personal. Vor allem die Helfer vor Ort, die bei Amtsgängen, Arbeitsvermittlung, Wohnungssuche, in der Kita und Schule helfen, kommen an ihre Belastungsgrenze. Längst nicht mehr alle Sozialarbeiter oder ehrenamtliche Helfer von 2015 seien noch dabei, bemerkt Brandl.

Alltag auf dem Schiff eingekehrt

Auf der MS Rossini hat sich das Leben eingespielt. Besatzung und Bewohner geben ihr Bestes, damit sich jeder auf dem Schiff ein bisschen zuhause fühlt. Schilder in persischer und arabischer Schrift weisen darauf hin, was an Bord erlaubt ist, was nicht, wie die Waschmaschinen und Trockner zu benutzen sind, wann es was zu essen gibt.

Alexander Damm ist von dem Schiff als Notunterkunft überzeugt. Zumal die Unterbringung der Geflüchteten samt Nebenkosten mit rund 6.000 Euro pro Tag nicht mehr kosten würde als andere Einrichtungen des Landkreises. Trotzdem: Geplant ist, dass das Schiff spätestens Ende des Sommers den Anleger in Bach an der Donau wieder verlässt. Vorausgesetzt, es kommen in den nächsten Monaten nicht mehr Geflüchtete im Landkreis an.

Dieser Artikel ist erstmals am 07. Mai 2023 auf BR24 erschienen. Das Thema ist weiterhin aktuell. Daher haben wir diesen Artikel erneut publiziert. 

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