In großen Städten wie Berlin, Wien oder auch München waren Anfang des 20. Jahrhunderts bis zu 20 Prozent aller Mitglieder des Alpenvereins jüdisch. Sie waren nicht nur Mitglieder, sondern auch engagiert als Vereinsvorstände, aktiv als Bergführer oder erfolgreich als Kletterer - wie der österreichische Alpinist Paul Preuss (1886-1913), der nicht nur für Extremkletterer Thomas Huber ein Vorbild ist.
Er gilt als geistiger Vater des Freikletterns. Heute ist Paul Preuss in der Bergsteiger-Szene bekannt, geehrt und bewundert. Das war nicht immer so. Denn Paul Preuss war Jude und im nationalsozialistischen Deutschland wurden seine Erfolge verleugnet.
Anders als Preuss traf den Wiener Psychiater Viktor Frankl die faschistische Vereinspolitik zu Lebzeiten. Er war vor dem Nationalsozialismus als Tourenleiter aktiv. Als einziger seiner Familie überlebte er das Konzentrationslager. Später kam er immer wieder in die Berge zurück. Hier fand er Kraft.
Auch Charlotte Knobloch, die Vorsitzende der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, ist schon als Kind gern in die Berge gegangen, sagt sie. Die Liebe zu den Bergen habe sie von ihrem Vater geerbt. Der Blick auf die Berge sei für sie der Inbegriff der schönen und friedlichen Heimat gewesen.
Gemeinsame Geschichte: Alpenverein und Nationalsozialismus
"Wenn man heutzutage im Deutschen Alpenverein sozialisiert wird und sich ein bisschen für Geschichte interessiert, dann realisiert man irgendwann, dass der eigene Verband eine Täterorganisation war. Ich finde es beschämend, was vor gar nicht langer Zeit unter dem gleichen Zeichen des Edelweiß getan wurde." Simon Keller, Bundesjugendleitung JDAV
Bei der Veranstaltung "Bewundert, ausgegrenzt und verleugnet – jüdische BergsteigerInnen im Deutschen Alpenverein" in München stellt sich der DAV seiner dunklen Vergangenheit. Die jüdischen Mitglieder wurden nicht nur spätestens 1933 aus der Organisation ausgeschlossen, sondern die Nazis instrumentalisierten auch den Alpenverein für ihre Ideologie.
"Das Heldentum der Bergsteiger passte ja gut zur nationalsozialistischen Ideologie. Die suchten ja Helden, die bereit waren zu sterben für das Land. Und das lässt sich natürlich mit dem Bezwingen der Berge, mit dem Niederringen und all der Begriffe, die damals verwendet wurden, sehr gut transportieren." Josef Klenner, Präsident des Deutschen Alpenvereins
DAV arbeitet dunkle Verbandsgeschichte auf
Bis in die 1980er-Jahre wurde zu dem dunklen Thema des DAV weitgehend geschwiegen. Erst in den letzten 25 Jahren wurde die Verbandsgeschichte schriftweise aufgearbeitet: zum Beispiel, dass der Alpenverein bereits 1924 die jüdische Sektion "Donauland" aus dem Verein ausgeschlossen hat, mit mehr als 90 Prozent der Stimmen der Vereinsmitglieder.
Dass sich die Alpenvereine in Deutschland und Österreich, die damals zu einem Verein fusioniert waren, heute dieser Erinnerung stellen, findet der Antisemitismusbeauftragte der Bayerischen Staatsregierung, Ludwig Spaenle, gut.
Bergsteiger engagieren sich gegen Antisemitismus
Sich mit dem Erbe zu befassen und gleichzeitig heute ein Zeichen zu setzen gegen Diskriminierung, Ausgrenzung und Intoleranz - das haben sich der Deutsche und Österreichische Alpenverein auf die Fahnen geschrieben. Auch die Internationale Paul Preuss Gesellschaft, die zum 100. Todestag des jüdischen Extremkletterers ins Leben gerufen wurde, fühlt sich dieser Verantwortung verpflichtet.
"Wir müssen aufstehen gegen Antisemitismus und unsere Stimme erheben, müssen Mut zeigen, was wir ja als Bergsteiger in den Bergen immer beweisen und leben. Und das müssen wir in den Alltag übertragen." Georg Bachler, Obmann der Internationalen Paul Preuss Gesellschaft
Wie viele jüdische Mitglieder heute im Österreichischen und Deutschen Alpenverein sind, darüber gibt es keine Erhebung.
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