Kernkraftwerk ISAR 2, im Vordergrund ein Verkehrsschild mit Ausrufezeichen.
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Das Kernkraftwerk Isar 2 in Essenbach bei Landshut.

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AKW: Umweltverbände fordern Ende der "Scheindebatte"

In der Debatte über mögliche Laufzeitverlängerungen der drei letzten deutschen Atomkraftwerke melden sich Bayerns Umweltverbände nun gemeinsam zu Wort. Sie halten einen Weiterbetrieb für "gefährlich" und wollen einen Schlusspunkt setzen.

Der Bund Naturschutz in Bayern (BN), Greenpeace und das Umweltinstitut München warnen vor unkalkulierbaren Risiken, sollten die drei in Deutschland verbliebenen Atomkraftwerke über das Jahresende hinaus weiterbetrieben werden.

Die Sicherheit der Meiler sei nicht gewährleistet, teilten die Umweltverbände am Mittwoch gemeinsam in München mit. Sie fordern von der Politik, insbesondere von SPD und Grünen, den geplanten Atomausstieg zum Ende des Jahres nicht in Frage zu stellen.

"Söder spielt mit atomarem Feuer"

Laut dem BN-Vorsitzenden Richard Mergner spielen Ministerpräsident Markus Söder (CSU), sein Energieminister Hubert Aiwanger (Freie Wähler) und der für die Reaktorsicherheit zuständige Umweltminister Thorsten Glauber (Freie Wähler) mit dem "atomaren Feuer" - aus populistischen Gründen. "Ein für mich skandalöses und obszönes wahltaktisches Spiel", sagt Mergner.

"Ich finde es deshalb skandalös, weil der Ministerpräsident und die Zuständigen die wissenschaftlichen und die rechtlichen Fakten leugnen und so tun, als ob ein 34 Jahre altes Atomkraftwerk einfach so ohne entsprechende Risiken weiterlaufen könnte."

Letzte Sicherheitsprüfung war 2009

Die letzte umfassende Sicherheitsprüfung der deutschen Atomkraftwerke fand 2009 statt, vor 13 Jahren. Normalerweise müssen Kernkraftwerke nach dem Atomgesetz alle zehn Jahre auf ihre Sicherheit überprüft werden, eine Ausnahme besteht nur im Fall einer Restlaufzeit von höchstens drei Jahren. Deswegen wurde 2019 auf diese Prüfung verzichtet.

Physikerin Oda Becker, die für den BUND Naturschutz ein Gutachten zum Weiterbetrieb erstellt hat, bilanziert: "Ein sicherer Betrieb der Reaktoren nach dem aktuellen Stand von Wissenschaft und Technik ist nicht gewährleistet!"

Ministerium sieht keine Sicherheitsbedenken

Das bayerische Umweltministerium ist anderer Ansicht. Auf BR24-Anfrage teilt das Ministerium mit, dass Sicherheitsbedenken einer befristeten Laufzeitverlängerung nicht entgegen stehen. "Durch eine Änderung des Atomgesetzes durch den Bund könnte der rechtliche Rahmen dafür geschaffen werden." Das habe der TÜV Süd im Auftrag des Ministeriums in einem Gutachten festgestellt.

Und weiter: "Der TÜV Süd ist einer der mit Fragen der Kernkraft am besten vertrauten Experten. Bei der Bewertung zentraler und entscheidender Fragen sollte auf die bestmögliche Expertise zurückgegriffen werden." Das TÜV Süd-Gutachten stand bereits mehrfach in der Kritik.

TÜV Süd Bewertung: "Gefälligkeitsgutachten"

Auch die Umweltverbände sehen diese Bewertung äußerst skeptisch. Der Bund Naturschutz in Bayern spricht von einem "Gefälligkeitsgutachten für die Staatsregierung". Das Umweltinstitut München wirft dem TÜV Süd Nachlässigkeit vor.

"Wenn ein Mitarbeiter erzählt, dass Atomkraftwerke mit dem Betrieb oder der Laufzeit immer sicherer werden und auslässt, dass am Ende die Alterung die Atomkraftwerke sehr unsicher macht, dann ist das nicht redlich", sagt dessen Atom-Expertin Karin Wurzbacher. Es handle sich um überalterte Reaktoren mit möglichen Korrosionsschäden. Die Sicherheit der Bevölkerung müsse jetzt absoluten Vorrang haben.

Greenpeace: Schluss mit "Scheindebatte"

Die aktuelle Diskussion über eine mögliche Laufzeitverlängerung ist für Stefan Krug, Leiter des bayerischen Landesbüros von Greenpeace, zudem eine reine "Scheindebatte", die vortäusche, die Gaskrise lösen zu können. Durch Atomstrom sei aber nur weniger als ein Prozent an Gas ersetzbar.

Heinz Smital, Atomphysiker und Atomkraft-Experte von Greenpeace, ergänzt: "Wer glaubt, der Weiterbetrieb von Atomkraftwerken trage zur Unabhängigkeit von Russland bei, irrt gewaltig." Denn fast die Hälfte des in der EU eingesetzten Kernbrennstoffs stamme aus Russland und dem eng mit Russland verbündeten Kasachstan.

Statt eines Weiterbetriebs der Atomkraftwerke setzen die Umweltverbände auf Energiesparen und Energieeffizienz - und fordern hierzu eine entsprechende Kampagne der bayerischen Staatsregierung.

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