Die 84-jährige Hildegard Kleiber sitzt mit der elfjährigen Samia Sobotta am Tisch vor einem aufgeschlagenen Fotoalbum, in Kleibers Gesicht zeigt sich Schmerz.
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Die 84-jährige Hildegard Kleiber erzählt der elfjährigen Samia Sobotta von der Deportation ihrer Cousinen im Banat nach dem Zweiten Weltkrieg.

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Die Banater Schwaben: Eine Geschichte der Entwurzelung

Die Banater Schwaben: Eine Geschichte der Entwurzelung

Im Mai feiern die Banater Schwaben 75 Jahre Leben in Bayern. Der Krieg in der Ukraine weckt bei manchen böse Erinnerungen: In der Sowjetunion mussten viele Zwangsarbeit bis zum Tod leisten – so wie die Cousinen von Hildegard Kleiber.

Über dieses Thema berichtet: Mittags in Schwaben am .

Die Banater Schwäbin Hildegard Kleiber sitzt am Tisch in der Küche ihrer Tochter im Augsburger Univiertel und kämpft mit den Tränen. Der 84-Jährigen mit dem gutmütigen Lächeln fällt es sichtlich schwer, über ihre Kindheit in Rumänien zu sprechen.

"Auf Russland verschleppt"

Vor ihr liegt ein aufgeschlagenes Familienalbum, sie zeigt auf ein Gruppenfoto in Schwarzweiß, auf dem sie selbst als kleines Mädchen zusammen mit fünf Cousins und Cousinen in die Kamera blickt. "Diese zwei Mädchen", klagt Kleiber und zeigt auf ihre Cousinen Anna Ganter und Elisabeth Albert, "sind 1945 auf Russland verschleppt worden. Die eine war 20, die andere frisch verheiratet. Sie sind beide nicht mehr heimgekommen."

"Auf Russland verschleppt", so sagt man es unter den Banater Schwaben. Gegen Ende des Zweiten Weltkriegs zog die Sowjetunion sie kollektiv zur Verantwortung und verdammte viele von ihnen zur Zwangsarbeit in Arbeitslagern, überwiegend im ukrainischen Donbass.

Entwurzelung, Enttäuschung, Deportation

In Kohlegruben hätten Kleibers Cousinen schuften müssen, jahrelang, dort seien sie gestorben. "Solche Erinnerungen sind in jeder Familie vorhanden", erklärt Harald Schlapansky, der Bayerische Landesvorsitzende der Banater Schwaben, "weil fast jede Familie von diesen Deportationen betroffen war." Er ist für diesen Termin aus München angereist und sitzt mit am Küchentisch.

Die Geschichte der Banater Schwaben ist eine von Entwurzelung, Enttäuschung und Vertreibung. "Den Ersten der Tod, den Zweiten die Not, den Dritten das Brot", heißt es unter ihnen. Die Habsburger Monarchie siedelte die Banater Schwaben nach den Türkenkriegen im 18. Jahrhundert größtenteils aus Süddeutschland und Lothringen gezielt im Banat an: einer Region im heutigen Serbien, Rumänien und Ungarn. Sie wurden mit Steuerfreiheit und Land gelockt und sollten mithelfen, das durch Kriege zermürbte Land wiederaufzubauen. Nach Seuchen, Hungersnöten und politischer Instabilität war es aber erst die dritte Generation, die die Früchte erntete.

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Eine Karte zeigt weiß schraffiert die Lage des Banats im heutigen Serbien, Rumänien und Ungarn.

Banater Schwaben im Zweiten Weltkrieg

Im Zweiten Weltkrieg kämpften Banater Schwaben als rumänische Staatsbürger zunächst in der rumänischen Armee an der Seite von Nazi-Deutschland. Später wurden sie systematisch in die SS eingezogen, wobei einige auch aus eigenem Antrieb in der Waffen-SS und der Wehrmacht dienten. "Es gab welche, die da mitgelaufen sind", räumt Landesvorsitzender Schlapansky ein, "aber die Mehrheit der Banater Schwaben waren Bauern und Arbeiter, die sich nicht um diese Ideologie gekümmert haben. Die SS hat die jungen Männer zwangseingezogen." Unter ihnen war auch der Vater von Kleiber, er ist im Krieg gestorben. "Wenn er nein gesagt hätte, wäre er erschossen worden", ist Kleiber sich sicher.

Dennoch befahl der sowjetische Diktator Josef Stalin gegen Ende des Krieges, junge deutsche Männer und Frauen zu "mobilisieren und internieren": Ungeachtet ihrer Rolle im Krieg wurden Banater Schwaben und Schwäbinnen zur Zwangsarbeit in die Sowjetunion deportiert, ihre Landsmannschaft spricht von etwa 35.000 Deportierten im Januar 1945.

Lehren für Europa

Dieses Trauma, erklärt Schlapansky, bleibt bis heute Teil der Identität der Banater Schwaben. Für ihn ergibt sich daraus wie auch aus den guten Beziehungen zum Banat eine Wertschätzung für Europa: "Wir sind die deutsche Volksgruppe, die die Brücke zu Rumänien aufrechterhält. Wenn wir das nicht tun, wer dann?"

Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine wecke böse Erinnerungen unter Banater Schwaben: "Bei vielen ist die Befürchtung da, dass die Zeiten von damals sich wiederholen." So auch bei Hildegard Kleiber: "Wenn ich heute das Wort Krieg höre, sind die Bilder in meinem Kopf." Mit Politik kenne sie sich nicht aus, und trotzdem sagt sie nach ihrer Zeit im kommunistischen Rumänien mit Blick auf Europa: "Wenn man 42 Jahre lang eingesperrt war: Dass man jetzt frei ist und überall hingehen kann, wo man will, das finde ich schön."

75 Jahre Banater Schwaben in Bayern

Seit 2007 ist Rumänien EU-Mitglied, seit heuer auch vollständiges Schengen-Mitglied. Während die Zahl der Banater Schwaben in Rumänien kontinuierlich sank und laut Landsmannschaft zuletzt noch 14.523 betrug, stieg sie in Deutschland an. In Augsburg feiern der bayerische Landesverband und der Kreisverband am 16. und 17. Mai 75 Jahre Banater Schwaben in Bayern.

Dieser Artikel ist erstmals am 8.4.2025 auf BR24 erschienen. Das Thema ist weiterhin aktuell. Daher haben wir diesen Artikel erneut publiziert.

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