Bergsteigerin Billi Bierling in dicker Daunenjacke und mit Sauerstoffmaske
Bildrechte: Archiv Billi Bierling

Höhenbergsteigerin Billi Bierling unterwegs im Himalaya

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70 Jahre Erstbesteigung: Der Mount Everest und die Bayern

Mythos Mount Everest: Am 29. Mai 1953 stehen erstmals Menschen am höchsten Gipfel der Erde, auf 8.848 Metern Höhe. Der Ruhm der Erstbesteigung gebührt damals den Briten, doch auch Bergsteiger aus Bayern haben am Everest Geschichte geschrieben.

Über dieses Thema berichtet: Rucksackradio am .

Sie ist die Chronistin an den höchsten Bergen der Welt: Billi Bierling, Bergsteigerin und Journalistin aus Garmisch-Partenkirchen. 2009 stand sie am Gipfel des Mount Everest, in den Jahren darauf erklomm sie den Manaslu, den Lhotse und weitere der höchsten Gipfel der Erde. Insgesamt sechs der 14 Achttausender hat Billi Bierling bestiegen, drei davon ohne Flaschensauerstoff - was ungleich schwieriger ist.

Die 55-Jährige hat ihre Tätigkeit ganz dem Dach der Welt verschrieben: Wenn sie nicht auf Expedition geht, dokumentiert sie das Geschehen an den höchsten Gipfeln im Himalaya und Karakorum. Als Leiterin der "Himalayan Database" archiviert sie mit ihrem Team, welche Expedition gerade in welchem Gebiet unterwegs ist, und wer welchen Gipfel erreicht hat. Übernommen hat Bierling den Job 2016 von der amerikanischen Journalistin Elisabeth Hawley, die in den 1960er Jahren mit dem Projekt der "Everest-Chronik" begonnen hatte.

Davor arbeitete sie als Übersetzerin und Journalistin in London, Bern und Jerusalem. Seit 2004 lebt sie mehrere Monate im Jahr in Kathmandu, und allein seit dieser Zeit hat sich die Welt am Mount Everest komplett verändert. Bierling findet: Der Mount Everest ist ein wunderbarer Berg, der mehr Respekt verdient hätte.

Mallory und Irvine: Zwei rätselhafte schwarze Punkte

So wie vor hundert Jahren, als allein die Anreise in den Himalaya per Schiff, Eisenbahn und zu Fuß noch mehrere Wochen dauert. "Weil er da ist" – das sagt der britische Bergsteiger George Mallory damals auf die Frage, warum er den Everest besteigen wolle. Eigentlich die simpelste und beste Antwort auf die anstrengend oft gestellte Frage, warum jemand auf den Berg geht.

Mallory liefert damals aber nicht nur ein berühmtes Zitat, sondern auch eines der größten Rätsel der Alpingeschichte: Erreichten er und sein Kamerad Andrew Irvine bei ihrem Besteigungsversuch im Jahr 1924 den 8.848 Meter hohen Gipfel oder nicht? Diese Frage ist bis heute offen. Die beiden werden nämlich am 8. Juni 1924 beim Aufstieg am Gipfelgrat des Everest für einen kurzen Moment als zwei schwarze Punkte gesehen. Danach sind sie für immer verschollen. Eine große Suchexpedition im Jahr 1999 kann die mumifizierte Leiche von Mallory auf mehr als 8.000 Metern Höhe finden - die Brille noch in der Tasche, nicht aber das Foto seiner Frau, das er am Gipfel ablegen wollte. Eine abschließende Antwort auf die Gipfel-Frage lässt sich daraus nicht ableiten.

Hillary und Norgay: Pünktlich zur Krönung der Queen

Als offizielle Erstbesteiger des höchsten Berges der Welt gelten daher der Neuseeländer Edmund Hillary und der nepalesisch-indische Bergsteiger Tenzing Norgay. Sie erreichen den Gipfel des Mount Everest am 29. Mai 1953. Und - was für eine erfolgreiche Besteigung entscheidend ist - sie kehren lebend zurück. Ihre Expedition macht weltweit Schlagzeilen, vor allem, weil die Erfolgsmeldung so pünktlich kommt wie die Schläge der Turmuhr im Palace of Westminster: Im Juni 1953 wird Elisabeth II. ebendort zur Königin des britischen Empire gekrönt, dem auch die beiden Everest-Erstbesteiger angehören.

Hans Engl: Unbekannter Dritter ohne Flaschensauerstoff

Danach vergehen 25 Jahre, bis ein erster Deutscher am Gipfel des höchsten Berges der Welt steht: Reinhard Karl, Student aus Heidelberg, erreicht am 11. Mai 1978 den höchsten Punkt des Mount Everest - drei Tage nach der berühmt gewordenen Erstbesteigung ohne Flaschensauerstoff durch Peter Habeler und Reinhold Messner.

Fünf Monate später schaffen es die ersten Bergsteiger aus Bayern: Am Nachmittag des 14. Oktober 1978 kommt zuerst der Schwabe Sepp Mack am Gipfel an, kurz darauf folgen Hubert Hillmaier aus Garmisch-Partenkirchen und Hans Engl aus Waakirchen im Landkreis Miesbach. Engl ist nach Habeler und Messner der Dritte, der den Anstieg ohne Flaschensauerstoff schafft - mit dem Unterschied, dass er seine Pionierleistung nie vermarktet, und auch heute bei einem Recherche-Anruf nicht darüber sprechen möchte. Im selben Schönwetterfenster im Oktober 1978 schaffen es zwei Tage später auch Siegfried Hupfauer aus dem Landkreis Neu-Ulm sowie Willi Klimek aus Garmisch-Partenkirchen auf den Gipfel.

Hannelore Schmatz: Mahnmal mit wehendem Haar

Hannelore Schmatz hantiert mit dem Seil. Sie trägt einen roten Wollpullover und graue Fäustlinge.
Bildrechte: Günter Kämpfe
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Bergsteigerin Hannelore Schmatz bei der Everest-Expedition 1979

Eine besondere Geschichte ist die der ersten deutschen Frau am Everest: Hannelore Schmatz, gebürtig in Regensburg, reist 1979 ins Basislager. Sie ist mit einem bergvernarrten Notar aus Neu-Ulm verheiratet. In klassischer Rollenverteilung hält sie ihm beim Gipfelsturm den Rücken frei. Ohne ihre Hilfe käme die Himalaya-Expedition ihres Mannes Gerhard nicht weit: Hannelore organisiert Genehmigungen bei den nepalesischen Behörden, sucht Sponsoren und organisiert den Transport mehrerer Tonnen Lebensmittel und Ausrüstung ins Basislager.

Ihr Aufstieg zum Everest ist eigentlich gar nicht eingeplant, trotzdem startet sie, einen Tag nach ihrem Mann, am 2. Oktober 1979 vom letzten Hochlager Richtung Gipfel. Sie erreicht den höchsten Punkt, beim Abstieg jedoch geht es ihrem amerikanischen Begleiter Ray Genet so schlecht, dass sie biwakieren müssen. In der Nacht setzt ein schwerer Höhensturm ein, in dem Genet stirbt. Hannelore Schmatz will am nächsten Tag absteigen, setzt sich dann jedoch auf etwa 8300 Metern hin und stirbt ebenfalls. Sie ist die erste tote Frau am Everest. Viele Jahre sitzt sie danach noch am Südgipfel, an den Rucksack gelehnt, die Haare wehend im Wind. Allen, die sich Richtung Gipfel quälen, ist ihr konservierter Körper Mahnmal und Wegweiser zugleich, bis er irgendwann verschwindet. Hannelore Schmatz ist die dritte Frau am Gipfel nach Junko Tabei aus Japan (1973) und Wanda Rutkiewicz aus Polen (1978).

Helga Hengge: Steigeisen statt Stöckelschuhe

Danach dauert es zwanzig Jahre, bis die nächste Frau aus Deutschland den Gipfel des Everest angeht: Helga Hengge, in Chicago geboren und im Großraum München aufgewachsen, ist in den neunziger Jahren eigentlich Modejournalistin. Sie arbeitet für die "Vogue", bis sie bei einer ihrer Yoga-Sessions in einem Fitness-Studio in New York die Kletterwand entdeckt - und damit das Bergsteigen. Sie tauscht die Stöckelschuhe gegen Steigeisen, wie sie 2019 im Interview mit Bayern 2 erzählt, besteigt mehrere Sechstausender in Südamerika und Nepal und wird 1999 Teil einer amerikanisch-neuseeländischen Expedition rund um den Bergsteiger Russell Brice. Am 27. Mai 1999 steigt Hengge über die Nordroute zum Gipfel auf und schafft als erste deutsche Frau erfolgreich die Besteigung des Mount Everest. Die nächste Deutsche ist Claudia Bäumler aus Baden-Württemberg im Jahr 2002.

Billi Bierling: Dank Job bei der UNO zum Everest

2009 kommt Billi Bierling und steigt - wie Hannelore Schmatz 30 Jahre zuvor - ebenfalls über die Südseite zum Mount Everest auf. Das Geld für ihre Besteigung verdient sie über einen Job bei der UNO in Jerusalem. Auf dem Weg zum Gipfel denkt sie viel an ihre deutsche Vorgängerin, die für sie eine "echte Pionierin" war.

Heute ist das Abenteuer Everest der Tourismusindustrie gewichen. Dieses Jahr haben Nepals Behörden fast 500 Permits vergeben, mehr als je zuvor, sagt Billi Bierling. Das Geschäft liegt mittlerweile zunehmend in den Händen einheimischer Trekkingagenturen. Bierling warnt davor, mit dem Finger auf diejenigen zu zeigen, die mit dem Everest ihr Geld verdienen. Denn der Ausverkauf der Berge ist keine Erfindung aus dem Himalaya, sondern aus den Alpen: "Den Everest verkaufen, das ist so eine Sache. Verkaufen wir die Zugspitze, verkaufen wir das Matterhorn, verkaufen wir den Mont Blanc? Jeder, der mit den Bergen Geld verdient, Bücher schreibt oder Filme dreht, zieht diese Menschen auch an."

2023: Zwölf Tote und fünf Vermisste

Dadurch, dass man sich die Besteigung als reicher Mensch heute online kaufen kann, hat die Bergerfahrung der Kundinnen und Kunden deutlich abgenommen, sagt Bierling. Die Folgen lassen sich aktuell sehen: "Das Krankenhaus in Kathmandu ist voller Leute mit Erfrierungen", sagt Bierling. Der Wind war diese Saison stärker als vorhergesagt, was es oben in der sogenannten "Todeszone" auf über 8000 Meter deutlich kälter macht. Wer dann zu langsam unterwegs ist, holt sich schnell Erfrierungen an Fingern, Zehen oder im Gesicht. Allein dieses Jahr gab es bereits zwölf Tote und fünf Vermisste, wie die Himalayan Times berichtet. Trotzdem: Der höchste Gipfel der Erde mit 8848 Metern Höhe ist und bleibt der große Traum von vielen. Einfach, weil er da ist.

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