Bischöfe entschuldigen sich, der emeritierte Papst Benedikt XVI. muss Fehler einräumen, der Kirchenrichter und ehemalige BR-Rundfunkratsvorsitzende, Prälat Lorenz Wolf, muss seine Ämter quittieren und Katholiken treten in Scharen aus ihrer Kirche aus: Das Münchner Missbrauchsgutachten hat ein Beben in der katholischen Kirche in Deutschland ausgelöst.
Gründe für das Beben nach Münchner Missbrauchsgutachten
Dies hat mehrere Gründe, sagt Hans Joachim Sander, Professor für systematische Theologie an der Universität Salzburg: "Es erreicht die Spitze der Kirche, also den ehemaligen Papst Benedikt XVI. Und zum anderen: Es zeigt die systemischen Probleme, vor denen die katholische Kirche steht."
So seien erstens bestimmte Personen in der Kirche, vor allem die Priester als "erwählt" angesehen worden. Und zweitens habe man als Kirche immer andere beschuldigt, aber nie sich selbst. "Und das Dritte ist, dass man das Leid der Betroffenen immer hinten angestellt hat - gegenüber der Reinheit der Kirche", sagt Sander.
Kardinal Marx will Leid von Missbrauchsopfern in Mittelpunkt stellen
Das Leid der Betroffenen sehen, ihre Bedürfnisse in den Mittelpunkt stellen, das hatte Kardinal Reinhard Marx infolge des von ihm selbst in Auftrag gegeben Gutachtens ganz oben auf die Agenda gesetzt. Und tatsächlich habe sich in dieser Hinsicht einiges bewegt, sagt Michaela Huber, Leiterin der Unabhängigen Aufarbeitungskommission (UAK) im Erzbistum. Sie selbst ist schon länger aus der Kirche ausgetreten.
Diese Unabhängige Aufarbeitungskommission, der Huber vorsteht, soll kritisch prüfen, ob das Erzbistum in Sachen Missbrauchsaufarbeitung und Prävention seine Hausaufgaben macht. Es gebe verschiedenste innerkirchliche Anlaufstellen - aber auch außerkirchliche: Der Verein "Wildwasser" zum Beispiel, oder das Münchner Männerzentrum, mit denen das Erzbistum Kooperationsverträge geschlossen habe, erklärt Huber: "Also jeder, der in irgendeiner Form eine Unterstützung will, kriegt die."
Aufarbeitungskommission: Kirche zeige guten Willen
Die Kirche zeige Willen, sich zu entwickeln. So sieht es Michaela Huber. Auf Empfehlung der Gutachter der Kanzlei WSW habe das Erzbistum München einen Begegnungstag für Betroffene organisiert, um diejenigen zu ermutigen, sich zu melden, die das noch nicht getan hätten. 56 Teilnehmer kamen, sechs davon haben sich zum ersten Mal gemeldet.
Nicht ganz so zufrieden mit der Aufarbeitung ist Richard Kick. Er ist Sprecher des Betroffenenbeirats im Erzbistum München und Freising, er vermisst eine wirklich unabhängige Ombudsstelle für Betroffene: "Als Betroffener im klerikalen Kontext an irgendeine Kirchentür zu klopfen, um über den eigenen Missbrauch sprechen zu müssen und ihnen gegenüber sitzt jemand, der von der Kirche beauftragt ist, ist mit das Schwierigste."
"Um Gehör zu bitten, und um alles zu betteln, um jeden Cent, um Unterstützung und, und, und – nur wenige schaffen es, diesen Weg zu gehen." Richard Kick, Sprecher des Betroffenenbeirats im Erzbistum München und Freising
Betroffenenbeirat: Staat muss Aufarbeitung übernehmen
Für Richard Kick steht fest: Der Staat muss mehr Verantwortung bei der Aufklärung und Aufarbeitung übernehmen. Das fordern seit dem Gutachten auch die Oppositionsparteien im bayerischen Landtag immer lauter.
Michaela Huber von der UAK ist skeptisch: "Ich glaube, dass es letztlich schon möglich wäre, aber sehr lange dauert und für die jetzigen Betroffenen dann eigentlich nicht mehr relevant ist", sagt sie. "Wenn man so etwas macht, dann müsste es für alle Institutionen und sehr zentral gemacht werden, also auch für die Sportvereine, für die Kirchen, für die Kinderheime, Kulturvereine, Trachtenvereine – alles."
Problem: Fehlende Transparenz bei den Zahlungen an Betroffene
Das weit größere Problem sieht Huber an anderer Stelle. Sie kritisiert die fehlende Transparenz bei der Auszahlung von Anerkennungsleistungen an Betroffene: "Es kann nicht sein, dass die Leute ohne irgendeine Begründung, irgendeine Summe zugewiesen bekommen", sagt sie, "es gibt eine große Gruppe, die relativ wenig Geld kriegen. Einzelne kriegen dann doch wieder viel mehr. Das ist nicht nachvollziehbar und das kann man so auch nicht stehen lassen."
- Zum Artikel: "Kirche zahlte 9,4 Millionen Euro an Missbrauchsopfer 2021"
Am Freitag teilte die UAK deshalb mit, sie arbeite an einer Empfehlung für die Erzdiözese, die Kommission für Anerkennungsleistungen zu reformieren.
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