Grab von Sophie Scholl.
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Grab von Sophie Scholl im Friedhof am Perlacher Forst in München.

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80. Todestag der Geschwister Scholl - Vorbild und Mythos

Am 22.2.1943 wurden Sophie und Hans Scholl sowie Christoph Probst in München hingerichtet. Vor allem die Geschwister gelten als wichtigste Persönlichkeiten im Widerstand gegen das NS-Regime. Wer waren sie und warum sind sie noch immer ein Vorbild?

Über dieses Thema berichtet: Regionalnachrichten aus Oberbayern am .

Sie gelten als Ikonen des Widerstands, Freiheitskämpfer, Helden: Die Gründungsmitglieder der "Weißen Rose" und darunter insbesondere die Geschwister Scholl. Doch wer waren Sophie und Hans Scholl wirklich - die Biologie-Studentin an der Ludwig-Maximilians-Universität München, die mit nur 21 Jahren von den Nationalsozialisten ermordet wurde, und ihr drei Jahre älterer Bruder Hans?

Einer, der sich in den letzten Jahren intensiv mit dem Wirken und Leben der Geschwister Scholl befasst hat, ist der Historiker und Theologe Robert Zoske. In seiner Biografie über Sophie Scholl "Es reut mich nichts: Porträt einer Widerständigen" sucht er hinter dem gängigen Bild vor allem den Menschen - und findet hinter der Kultfigur oft eine unsichere junge Frau, die nicht frei von Widersprüchen ist.

Vorbild für Mitmenschlichkeit, Zivilcourage und Glaubensmut

Vor allem Sophie Scholl ist für viele Menschen noch immer ein Vorbild für Mitmenschlichkeit, Zivilcourage und Glaubensmut, so der Scholl-Biograf. Man könne bei der Beschäftigung mit ihrem Leben aber auch lernen, einen Menschen in seiner Zwiespältigkeit anzunehmen.

"Als National-Ikone verkörpert Sophie nur den Menschen in seinem Idealzustand", tatsächlich habe sie sich aber auch verletzbar und verletzend, zartfühlend und willkürlich, gläubig und zweifelnd gezeigt. So sei auch Sophie Scholls Weg in den Widerstand ein längerer Prozess gewesen.

"Man kann von Sophie Scholl lernen, wie wichtig die Fähigkeit zur Denkwende ist, denn Sophie wacht nach vielen Jahren nationalsozialistischen Irrtums auf, erkennt ihren Fehler und geht in den Widerstand." Robert Zoske, Theologe und Historiker

Sophie Scholl - Projektionsfläche für viele Richtungen

Zoske beschreibt, dass 80 Jahre nach ihrem Tod in der Öffentlichkeit vor allem ein Bild von Sophie Scholl vorherrschend sei: das einer widerspruchsfreien, emanzipierten jungen Frau. Wesentlich mitgeprägt habe dieses Bild auch ihre älteste Schwester Inge Scholl, die schon früh (1947) eine erste "ausführliche Zusammenfassung und Interpretation", so Zoske, von Sophie und Hans Scholl veröffentlicht hat. Hinzu kämen einschlägige Verfilmungen.

Und dieses bis heute vorherrschende "geglättete" Bild sei eben auch maßgeblich dafür verantwortlich, dass die Geschwister Scholl vielen verschiedenen Menschen und Richtungen heute als Projektionsfläche dienten - von Sea-Watch-Kapitänin Carola Rackete, die twittere, wenn Sophie Scholl heute leben würde, wäre sie Teil der Antifa, bis hin zu "Jana aus Kassel", die sich bei einer Demonstration gegen die Corona-Maßnahmen mit Sophie Scholl verglich, da sie ebenfalls "seit Monaten aktiv im Widerstand" sei.

"So ein herrlicher Tag, und ich soll gehen"

Unbestritten ist jedoch: In den letzten Monaten ihres kurzen Lebens war Sophie Scholl eine mutige Kämpferin im Widerstand gegen das totalitäre NS-Regime.

Am 18. Februar 1943 wurden führende Mitglieder der Widerstandsgruppe "Weiße Rose" nach einer Flugblattaktion an der Münchner Universität verhaftet und vier Tage später hingerichtet. Neben Sophie und Hans Scholl ihr Freund Christoph Probst.

"So ein herrlicher Tag, und ich soll gehen (...)", so beginnt die vielzitierte letzte Aussage von Sophie Scholl kurz vor ihrer Hinrichtung am 22. Februar 1943. Der genaue Wortlaut ist heute nicht mehr überprüfbar. Ihre Schwester Inge Scholl beruft sich in ihrem Buch "Die Weiße Rose" aus dem Jahr 1952 auf die Aussage von Scholls Zellengenossin Else Gebel.

Der Scharfrichter Johann Reichhart soll später einmal gesagt haben, dass er noch nie jemanden gesehen habe, der so tapfer gewesen sei wie Sophie Scholl. Was jedoch aus dem Vernehmungsprotokoll der Gestapo ersichtlich ist: Die 21-jährige Studentin hat bis zuletzt niemanden verraten und die anderen Mitglieder der "Weißen Rose" geschützt, indem sie sich und ihren Bruder Hans als die Hauptakteure der Widerstandsbewegung darstellte.

Erste Zweifel in der Hitlerjugend

Doch wer waren die Geschwister eigentlich? Sophie und Hans Scholl stammen aus einer kinderreichen Familie aus Baden-Württemberg. Die Beschäftigung mit Literatur, Kunst, Musik und Religion soll in ihrem Elternhaus eine große Rolle gespielt haben, so schrieb es später Inge Aicher-Scholl, die Älteste der sechs Geschwister. Auch in ihren Flugblättern berufen sich die Geschwister immer wieder auf humanistische Ideale und christliche Grundwerte.

Als ab Dezember 1936 fast alle Jugendlichen in Deutschland (etwa 98 Prozent) durch das "Reichsjugendgesetz" in der Hitlerjugend zusammengefasst werden, wird Hans Scholl Hitlerjugend-Leiter und Sophie Scholl tritt dem "Bund deutscher Mädel" bei. Sie bleibt sieben Jahre lang aktives Mitglied der Organisation - auch in leitenden Positionen.

Doch während die anderen den "Führer" verehren, kommen den Geschwistern schon bald erste Zweifel - so beschrieb es ihre ehemalige Freundin Susanne Zeller-Hirzel später in einem Interview.

Ab Sommer 1942: "Flugblätter der Weißen Rose"

Als Hans dann in München studieren darf, geht auch Sophie in die bayerische Landeshauptstadt. Sie schreibt sich an der Ludwig-Maximilians-Universität für die Fächer Biologie und Philosophie ein, in den Semesterferien muss sie in der Rüstungsproduktion in einem Ulmer Betrieb arbeiten.

Ihr Bruder Hans, der Medizin studiert, lernt an der Uni Alexander Schmorell kennen. Sie verstehen sich auf Anhieb, haben gleiche Ideale und Visionen. Später kommen noch Christoph Probst und die Geschwister Willi und Anneliese Graf dazu. Ein politisch engagierter Freundeskreis wird zu einer aktiven Widerstandsgruppe.

Im Sommer 1942 verfassen Alexander Schmorell und Hans Scholl vier "Flugblätter der Weißen Rose". Dank zahlreicher Unterstützer drucken und verschicken sie die Blätter auch an Intellektuelle rund um München, auch Hans' jüngere Schwester Sophie soll zu diesem Zeitpunkt bereits mitgeholfen haben.

Nach und nach weiten die Gründungsmitglieder der "Weißen Rose" ihren Widerstand aus, die Gruppe druckt immer höheren Auflagen, die Flugschriften gelangen nach Köln, Stuttgart, Berlin und Wien.

Vision von einem demokratischen Deutschland

Im fünften Flugblatt fordert Hans Scholl ein Ende des Krieges. Und er entwickelt eine Vision: ein demokratisches Deutschland in einem geeinten Europa. Im Dezember 1942 ziehen die Mitglieder der "Weißen Rose" Professor Kurt Huber ins Vertrauen. Er verfasst das sechste und letzte Flugblatt: ein Aufruf zum Aufstand der Jugend gegen Hitlers Diktatur. Huber fordert die Studenten auf, das NS-Regime zu stürzen und ein "neues geistiges Europa" zu errichten.

Was die Widerstandsgruppe allerdings nicht weiß: Zu diesem Zeitpunkt vermutet die Gestapo die Autoren der Flugblätter bereits in Münchner Studentenkreisen, denn auch auf Hauswänden und am Gebäude der Universität sind Parolen wie "Freiheit!" und "Nieder mit Hitler!" zu lesen. Ab Januar 1943 setzt die Gestapo deshalb eine Sonderkommission ein.

18. Februar 1943 - Das letzte Flugblatt

Am 18. Februar 1943 verteilen Sophie und Hans Scholl zum letzten Mal Flugblätter an der Münchner Uni. In ihren Taschen befinden sich Hunderte Blätter. Als sie schon beim Hinterausgang an der Amalienstraße sind, kehrt die Biologie-Studentin gegen 11.15 Uhr noch einmal um und versetzt dem zuvor an der obersten Brüstung ausgelegten Stapel einen Stoß. Die Blätter fliegen vom zweiten Stock in den Lichthof der Universität.

Der Hausmeister Jakob Schmid sieht die Aktion zufällig - und verrät die Geschwister.

22. Februar 1943 - Hinrichtung in München

Unter den Freunden von Hans und Sophie, die noch am 18. Februar 1943 von der Gestapo verhaftet werden, sind auch die Geschwister Willi und Anneliese Graf. Hans Scholl hat bei seiner Festnahme einen Flugblattentwurf von Christoph Probst dabei, so dass auch dieser festgenommen wird. Die Gestapo lässt weitere Mitglieder der "Weißen Rose", auch in anderen Städten, verhaften. Familienangehörige kommen in "Sippenhaft".

Nur vier Tage später, am 22. Februar 1943, werden Sophie und Hans Scholl sowie Christoph Probst vom Volksgerichtshof unter Vorsitz von Roland Freisler zum Tode verurteilt und noch am selben Tag im Gefängnis München-Stadelheim von Scharfrichter Johann Reichhart hingerichtet.

Kurt Huber, Willi Graf und Alexander Schmorell werden am 19. April 1943 in einem zweiten Prozess vor dem Volksgerichtshof ebenfalls zum Tode verurteilt. Kurt Huber und Alexander Schmorell sterben am 13. Juli 1943 im Gefängnis München-Stadelheim, die Hinrichtung Willi Grafs erfolgt am 12. Oktober 1943, nachdem die Gestapo über Monate hinweg versucht hat, aus ihm Namen aus dem weiteren Umfeld der Widerstandsgruppe herauszupressen.

Hausmeister: "Nur Pflicht getan"

Durch Helmuth James Graf von Moltke, Begründer der Widerstandsgruppe "Kreisauer Kreis", gelangte das letzte Flugblatt nach Großbritannien. Dort wurde es im Herbst 1943 nachgedruckt, von britischen Flugzeugen über Deutschland abgeworfen und durch den Sender BBC verbreitet.

Der Hausmeister Jakob Schmid, der Sophie Scholl verriet, erhielt eine Belohnung von 3.000 Reichsmark. Am 11. Mai 1945, drei Tage nach Ende des Zweiten Weltkriegs in Europa, wurde Schmid von den US-Amerikanern verhaftet und von der Münchner Spruchkammer zu fünf Jahren Arbeitslager verurteilt. Da er damit auch seinen Anspruch auf öffentliche Bezüge verlor, legte er dagegen zweimal Berufung ein - erfolglos. Seine Begründung: Er habe lediglich seine Pflicht getan.

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