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20. Juli 1944 Allein vor Gott und der Geschichte

20. Juli? Klar, Stauffenberg. Immer stärker verbindet sich das missglückte Attentat mit einem Namen, einem Gesicht. Dabei waren an die 200 Menschen an der Widerstandsaktion beteiligt. Die meisten fielen dem Rachefeldzug der Nazis zum Opfer.

Von: Michael Kubitza und Verena Schälter

Stand: 20.07.2018 | Archiv

Benito Mussolini besichtigt wenige Stunden nach dem gescheiterten Attentat zusammen mit Adolf Hitler und Offizieren den zerstörten Konferenzraum im Führerhauptquartier Wolfsschanze. | Bild: IMAGNO/Votava/Süddeutsche Zeitung Photo

Wenn man ihn hingerichtet hätte - das wäre was anderes gewesen, befand der ausführende Beamte. Doch Generalmajor Hellmuth Stieff, am 20. Juli 1944 einer der Verschwörer gegen Hitler, habe sich seiner Verurteilung zum Tode ja durch Selbstmord entzogen, seiner Witwe stehe daher keine Hinterbliebenenrente zu.

"Ihr Mann hat überhaupt kein nationalsozialistisches Unrecht erlitten, er hat sich vielmehr erschossen und ein erledigendes nationalsozialistisches Unrecht nicht abgewartet."

Brief der Oberfinanzdirektion München an die Witwe von Hellmuth Stieff im Jahr 1953

Selbstmord? In Wirklichkeit hatte sich Stieff nicht erschossen, sondern war vom Volksgerichtshof verurteilt und am 8. August erhängt worden. Erst sieben Jahre und drei Gerichtsinstanzen später kam Ili Stieff zu ihrem Recht. Dass die Behörde mit falschen Annahmen operierte, ist nur Randnotiz eines größeren Skandals: Viele der oft erst im Mai 1945 aus Sippenhaft entlassenen Angehörigen der Verschwörer erhielten keinerlei staatliche Unterstützung, waren sogar Anfeindungen ausgesetzt - was der Mehrheit der Bundesbürger ziemlich egal war.

Stundenprotokoll: Der 20. Juli 1944

Die Hoffnung, dass sich Deutschland aus eigener Kraft von Hitler befreien würde, lebte weniger als 24 Stunden. Noch am Abend des 20. Juli war die "Operation Walküre" gescheitert. Ein Zeitstrahl-Protokoll dieses wichtigen Tages in der deutschen Geschichte.

Wirtschaftswunder - betriebsblind

Im Nachkriegsdeutschland galten Widerständler als suspekt, sagt Johannes Tuchel, der Leiter der Gedenkstätte Deutscher Widerstand in Berlin. Für einige waren sie Vorkämpfer für die Demokratie, für andere "Vaterlandsverräter".

Erst 1953, also im Jahr des zynischen Behördenbriefs an die Witwe Stieff, begann die westdeutsche Politik, sich des totgeschwiegenen Attentats zu erinnern - nicht zuletzt als Reaktion auf die sich verfestigende deutsche Teilung: die DDR schickte sich an, den kommunistischen Teil des Widerstands in ihre Geschichtschreibung zu integrieren; im Westen verlangte der ostdeutsche Volksaufstand vom 17. Juni nach einer historischen Analogie. Doch auch 1955 erwiesen sich zwei ambitionierte Filmprojekte über das Attentat als Kassengift. Erst im neuen Jahrtausend beurteilt eine klare Mehrheit der Deutschen das unter seinem Decknamen "Operation Walküre" bekanntgewordene Attentat positiv.

Stauffenberg. Und?

Der Kopf der Aktion war sich der Tragik schon vorher bewusst. Skeptisch über den Ausgang des Unternehmens, wollte Claus Schenk Graf von Stauffenberg der (Nach-)Welt jedenfalls die Existenz eines besseren, "geheimen Deutschlands" dokumentieren.

"Derjenige, der etwas zu tun wagt, muss sich bewusst sein, dass er als Verräter in die deutsche Geschichte eingehen wird."

Oberst Claus Schenk Graf von Stauffenberg

Gedenkbriefmarken der Bundespost zum deutschen Widerstand: Stauffenberg? Ja. Stieff? Nein.

Hitlers Rundfunkansprache, die das Scheitern des Attentats zum Gottesurteil umdeutete und die Akteure als "ganz kleine Clique ehrgeiziger, gewissenloser und zugleich verbrecherischer dummer Offiziere" denunzierte, klang in vielen Ohren lange nach. In Wirklichkeit bestand die "ganz kleine Clique" aus weit über 200 Personen, darunter etliche Zivilisten. Fast alle fielen dem Rachefeldzug der Nazis zum Opfer.

Noch heute sind die meisten Namen kaum bekannt. Und das, obwohl das Gedenken inzwischen institutionalsiert ist und zum 70. Jahrestag 2014 mit einigem Aufwand begangen wurde. Hellmuth Stieff, der in Augsburg geborene Miverschwörer Roland von Hösslin, der liberale Berliner Ex-Bürgermeister Fritz Elsas - ihre Namen sind in der Öffentlichkeit fast vergessen. Das gilt auch für Widerstandskämpfer jenseits von 20. Juli und Weißer Rose.

Oft waren es Einzeltäter. Der Arbeiter Georg Elser etwa, den der britische Germanist Joseph Peter Stern als "Hitlers wahren Antagonisten" bezeichnet hat, wurde erst zum 75. Jahrestag seines gescheiterten Attentats auf Hitler breit gewürdigt - unter anderem durch Oliver Hirschbiegels Filmporträt, eine BR-Koproduktion. Fabian von Schlabrendorff, der ähnliches im März 1943 versuchte, ist noch immer kaum bekannt.

Im moralischen Dilemma

Die zum Teil stark religiösen Verschwörer selbst haderten mit anderen Problemen - dem "Verrat", ihren Soldaten-Eid auf den Führer zu brechen, und dem Dilemma, ein Leben auszulöschen, um dadurch vielleicht Millionen andere zur retten. Im Abschiedsbrief an seine Frau erklärt der von tiefen Zweifeln geplagte Stieff, es sei "falsch (gewesen), Gott in seinem Wirken als kleiner Mensch hochmütig in den Arm fallen zu wollen". Positiver klingt das bei Roland von Hößlin, der mit nur 29 Jahren hingerichtet wurde. In einem Abschiedsbrief an seine Familie schrieb er Minuten vor der Hinrichtung:

"Mit Gott habe ich abgerechnet, er hat mir dafür seinen Frieden und seine himmlische Ruhe ins Herz gesenkt."

Roland von Hößlin


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