Künstliche Krake
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Mit dem Big Brother Award zeichnet Digitalcourage sogenannte Datenkraken aus.

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Irische Datenschutz-Behörde erhält Negativpreis für "Lebenswerk"

Die Big Brother Awards gelten als "Oscars für Datenkraken". In diesem Jahr verleihen die Datenschutz-Aktivisten den Negativpreis fürs "Lebenswerk" an die irische Datenschutzbehörde. Doch auch zwei deutsche Behörden werden "ausgezeichnet".

Über dieses Thema berichtet: IQ - Wissenschaft und Forschung am .

"Endlich Abi! Doch das Papierzeugnis ist unsicher und umständlich – gerade in Zeiten digitaler Bewerbungsprozesse. Mit der Blockchain-Technologie lässt sich das Dilemma digital lösen." So bewirbt die Bundesdruckerei ihr Projekt digitales Schulzeugnis.

Digitales Zeugnis soll durch Blockchain sicher gemacht werden

Die Idee: Künftig bekommen Schüler zwei Versionen ihres Zeugnisses: Eine klassische aus Papier. Und eine digitale: Ein PDF, das mit einem digitalen Fingerabdruck, dem so genannten Hash-Wert versehen ist. Der Hash-Wert umfasst 66 Zeichen, er ist eindeutig, ohne Rückschlüsse auf die Inhalte des Zeugnisses zuzulassen. Dieser Hash-Wert wird in einer Blockchain der öffentlichen Hand gespeichert. Einmal in die Blockchain geschriebene Daten können nicht mehr verändert werden, eine Manipulation ist weitgehend ausgeschlossen.

Mit ihrem digitalen Zeugnis kann sich eine Schülerin nun bei einem Unternehmen um einen Ausbildungsplatz bewerben: Um die Echtheit des Zeugnisses zu überprüfen, errechnet die Firma den Hash-Wert des Zeugnisses und fragt ihn in der Blockchain ab. Stimmt der Wert, ist das Zeugnis echt.

CCC: Blockchain-Einsatz ist beim Zeugnis sinnlos

Doch nur weil das technisch möglich ist, ist es noch lange nicht sinnvoll. Findet Frank Rosengart vom Chaos Computer Club: "Um die Echtheit von digitalen Zeugnissen zu belegen, ist es total unsinnig, dafür eine Blockchain-Technologie zu benutzen. Man könnte ganz klassisch elektronische Signaturen benutzen. Das ist ein erprobtes Verfahren."

Beispiele dafür sind SSL-Zertifikate im Browser. Oder die elektronischen COVID-Zertifikate, die man als QR-Code in der CovPass-App speichern kann. Rosengart vermutet politische Gründe hinter diesem – seiner Ansicht nach – unsinnigen Blockchain-Einsatz:

"Das ist ein offensichtlicher Versuch, die Blockchain-Technologie sage ich mal, bei der Bundesregierung bei den Entscheidungsträgern bei der Politik in Position zu bringen, als tolle Technologie, wo man jetzt unbedingt rein investieren muss." Frank Rosengart, Chaos Computer Club

Auch wenn das beim digitalen Zeugnis nicht passiert: Prinzipiell könnte man auch Personenidentiäten in der Blockchain speichern. Also eine Art digitaler Personalausweis in der Blockchain. Die EU plant bereits, die elektronische Identität mittels Blockchain abzusichern.

Weil die Blockchain-Technologie also erhebliche Probleme für den Datenschutz haben kann, verleiht Digitalcourage den Big Brother Award in der Kategorie Technik an die Bundesdruckerei für ihr Leuchtturmprojekt "Digitale Schulzeugnisse".

Bundesdruckerei: Digitales Zeugnis ist ein Testprojekt

Die Bundesdruckerei sieht die "Verleihung" des Awards gelassen. Es sei in einer demokratischen Gesellschaft völlig in Ordnung, dass Aktivisten ihre Möglichkeiten nutzen, um Aufmerksamkeit für sich und ihre Ziele zu generieren, schreibt ein Sprecher auf BR24-Anfrage.

Er verweist darauf, dass es sich beim Digitalen Schulzeugnis um ein Test-Projekt handle. Ob und wie die Blockchain-Technologie in der dauerhaften Architektur des digitalen Schulzeugnisses eingesetzt wird, sei noch nicht entschieden. Außerdem würden in der Blockchain keine Zeugnisse, sondern nur Prüfsummen gespeichert.

Lieferando wegen Überwachung seiner Fahrer "ausgezeichnet"

Bei einem weiteren Big Brother Award geht es viel stärker um das Kernanliegen von Digitalcourage: Datenschutz. In der Kategorie "Arbeitswelt" zeichnet Digitalcourage den Essens-Lieferdienst Lieferando aus – für eine umfassende Überwachung seiner Fahrerinnen und Fahrer. Lieferando wird sozusagen stellvertretend ausgezeichnet für Firmen aus der "Plattform-" oder "Gig-Economy", die eine Tätigkeit davon abhängig machen, dass Beschäftigte ihnen vielfältige persönliche Daten zur Verfügung stellen.

Konkret geht es um die App Scoober, die alle Lieferando-Fahrer installieren müssen. Die Scoober-App erfasst detailliert und sekundengenau eine Fülle von Verhaltensdaten. Etwa den Zeitpunkt der Abholung des Essens im Restaurant und der Übergabe an Kunden. Aber auch alle 15 bis 20 Sekunden den Standort der Fahrerin.

  • Zum Artikel: Lieferando - Neue Belege für Fahrer-Überwachung

Für Peter Wedde, Professor für Arbeitsrecht und Recht der Informationsgesellschaft an der Frankfurt University of Applied Sciences, ist das eine Totalüberwachung: "Das ist der Kerntatbestand unserer Preisverleihung: Lieferando macht da eine Totalkontrolle der Beschäftigten. Das Bundesarbeitsgericht sagt in ständiger Rechtsprechung: Eine Totalkontrolle von Beschäftigten darf es nicht geben."

Unverständliche Datenschutzerklärung

Und noch einen zweiten Grund gibt es für den Preis: Die Scoober-App leite personenbezogene Daten an eine Reihe von Internet-Trackern weiter, die das Nutzungsverhalten oder Absturzberichte der App aufzeichnen würden. Einige dieser Tracker sind aus dem Hause Google. Die Fahrer könnten sich gar nicht dagegen wehren, sagt Peter Wedde. Lieferando mache eine umfassende Verarbeitung von Daten und gebe auch noch Daten an andere weiter. Die Beschäftigten wüssten das nicht, können sich auch gar nicht dagegen wehren. "In der Datenschutzerklärung steht drin, wenn ihr diese Tracker abschaltet, dann kann das möglicherweise ein Arbeitsrechtsverstoß sein. Also damit ist eine Freiwilligkeit auch einer Einwilligung nicht gegeben", so Wedde.

Lieferando: Wir können nicht per Fax kommunizieren

Lieferando weist den Vorwurf der unzulässigen Totalkontrolle "entschieden zurück". Wie andere Dienste auch betreibe man eine GPS-basierte Logistik, heißt es in einem Statement auf BR-Anfrage. Die Fahrer-App entspreche geltenden Datenschutzbestimmungen, und die ermittelten Orte und Zeiten seien unerlässlich für einen ordnungsgemäßen Betrieb unseres Lieferservices. Zitat: "Schließlich können wir nicht per Fax mit unseren Fahrern kommunizieren."

"Lebenswerk"-Preis an irische Datenschutzbehörde

Lieferando ist also nicht erfreut über den Big Brother Award. Noch härter hat es die irische Datenschutzbehörde getroffen. Die hat für ihre "umfassende Sabotage des europäischen Datenschutzrechts" sogar einen Preis fürs Lebenswerk bekommen. Weil die irische Datenschutzaufsicht das so planvoll, seit so vielen Jahren und mit solch kafkaesker Phantasie betreibt, reiche die Kategorie "Behörden und Verwaltung" dafür nicht mehr aus, heißt es in der Begründung von Digitalcourage-Chefin Rena Tangens.

Unter der Obhut der Behörde habe sich Irland zur Oase für "Geschäftsmodelle des Überwachungskapitalismus" von Firmen wie Facebook, Google, Apple oder Microsoft entwickelt.

Die DPC wies den Vorwurf in einem Statement an BR24 zurück: Man würde aktiv bei der Durchsetzung der Europäischen Datenschutz-Grundverordnung mitarbeiten.

Weitere Preise gingen an die Polizei für die Mängel bei der Speicherung personenbezogener Daten und an den Zahlungsdienstleister Klarna, weil er Daten verschiedener Finanzdienstleistungen intransparent bündele.

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