Katrin Fischer ist 53 Jahre alt und stammt aus Plauen, wo sie ihre Kindheit und Jugend verbracht hat. Plauen war damals auch russische Garnisonstadt. Es habe nur wenige direkte Begegnungen gegeben, allesamt organisiert und etwas bemüht, erinnert sich Fischer.
Daneben gab es die institutionalisierte deutsch-sowjetische Freundschaft: "Also wir wurden dann später ganz normal Mitglied dieser deutsch-sowjetischen Freundschaft, da gab es so ein kleines rotes Ausweis-Heftel, und es hat glaube ich, im Monat zehn Pfennige Mitgliedsbeitrag gekostet und man bekam diese niedlichen, wie Konsummarken, und die hat man dann eingeklebt, und das war es auch schon."
Dann seien Brieffreundschaften dazu gekommen. Katrin Fischer erhielt eine Kontaktadresse in Moskau zu einem etwa gleichaltrigen Mädchen: "Und ich weiß auch, dass ich zwei oder drei oder vier Jahre regelmäßig in Russisch und sie in Deutsch, dass wir uns hin – und hergeschrieben haben. Wir haben uns einfach klassisch so als Mädchen ausgetauscht. Wo wir wohnen, was wir mögen, vielleicht auch vom ersten Verliebtsein, wie klassische Brieffreundschaften."
Die DDR versuchte so das Besatzer-Image der russischen Streitkräfte im eigenen Land abzumildern und zumindest in der jungen Generation alte Feindbilder zu tilgen oder gar nicht erst fortzuschreiben. Diese Prägung wirke bei vielen ostdeutschen Bürgern und Bürgerinnen bis heute fort, sagt Antje Hermenau.
Die gebürtige Leipzigerin und langjährige Ex-Grünen-Politikerin, die heute in der Mittelstandsförderung in Dresden arbeitet, verwundert das nicht. Man habe früher an allem zusammen gebaut, zusammen gearbeitet: "Und dann hat man Freundschaften fürs Leben geschlossen, es gab Ehen natürlich zwischen Russen und Deutschen hier in Ostdeutschland und in Russland, je nachdem, wo sie leben wollten und das ist eine andere Bindung."
Hinzu kam der ideologische Überbau, die sozialistische Sicht auf die Führungsmacht der westlichen Welt, die USA. Auch hierbei gab es unterschiedliche Ebenen, wie Hermenau differenziert: "Natürlich gibt es noch und das darf man auch nicht vergessen, die Lesart, die wir damals in der Schule hatten, zu DDR-Zeiten, dass die Amerikaner als Imperialisten immer dazu neigen, Kriege vom Zaun zu brechen."
Bezogen auf den aktuellen Krieg in der Ukraine sähen auch jetzt viele Ostdeutsche die Ursache in der massiven US-amerikanischen Unterstützung der Ukraine seit der Krim-Annexion durch Russland 2014, erläutert Hermenau. Das bestätigt auch der Dresdner Politikwissenschaftler Hans Vorländer: "Was wir aus den letzten Monaten kennen, ist eine Befragung vom Januar, also noch vor Ausbruch des Krieges in der Ukraine, die besagt, dass in Ostdeutschland prozentual mehr auf die Frage, wer für die Verschärfung des Verhältnisses verantwortlich zu machen ist, eher die amerikanische Seite angeführt wird, als die russische und dann gibt es einen Unterschied in der Einschätzung der Verantwortlichkeit zwischen West- und Ostdeutschen."
Und so hält sich die These, dass sich Teile der Ex-DDR-Bevölkerung Russland schon deshalb besonders verbunden fühlten, da sie beide gleichermaßen den Zusammenbruch der Systeme und eine schmerzhafte Transformation durchlebt hätten. Daraus resultiere ein besseres Verständnis füreinander. Dieser Aussage widerspricht der Dresdner Politikwissenschaftler Prof. Hans Vorländer entschieden: "Nein, dieses Opfer-Narrativ ist natürlich überhaupt nicht tragfähig, und es ist womöglich ja auch der Versuch von Menschen, die früher Systemnah waren, eine gewisse Nähe eben herbeizureden."
Unbestritten sei jedoch, dass die alte Bundesrepublik seit der Ära Adenauer klar nach Westen orientiert war, während die DDR in einem durchaus ambivalenten Verhältnis zur russischen Besatzungsmacht stand. Die Frage, ob die Russen damals Befreier, Besatzer oder Eroberer waren, dürfte angesichts der aktuellen weltpolitischen Lage in neuem Licht erscheinen.
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Dossier Politik vom 05.05.2022 - 19:05 Uhr
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