In 1.600 Metern Tiefe liegt der unterirdische Gasspeicher Haidach. Das Erdgas wird für die Lagerung dort in Sandstein eingepresst. Laut dem Betreiber, der RAG Austria AG, handelt es sich um den zweitgrößten Speicher in Mitteleuropa mit einem Volumen das einem Viertel des österreichischen Erdgas-Verbrauchs pro Jahr entspricht – 2,9 Milliarden Kubikmeter. Damit ist Haidach größer als alle fünf bayerischen Gasspeicher zusammen. Doch der Riesen-Speicher in der Nähe von Salzburg ist aktuell gerade einmal zu einem Fünftel gefüllt.
Ein Zustand, der in der bayerischen Staatsregierung mit zunehmender Sorge beobachtet wird. Denn das Gas, das im Speicher in Haidach eingelagert wird, ist über die Austria Bavaria Pipeline (ABP) zunächst direkt und ausschließlich mit dem deutschen Netz verbunden und wird hierzulande auch anteilig verbraucht. Erst über einen Umweg in Überackern/Burghausen wird das übrige Gas wieder ins österreichische Netz eingespeist.
Um die Versorgung mit Erdgas im Freistaat auch in Zukunft sicherzustellen, hat sich Bayerns Ministerpräsident daher mit einem Brief, der dem BR vorliegt, an den österreichischen Bundeskanzler Karl Nehammer gewandt. Söder bittet darin dringend darum, "entsprechende Regelungen auf den Weg zu bringen, die die ausreichende Befüllung auch des Speichers Haidach sicherstellen können".
Flankiert wird die Forderung auch von der Initiative ChemDelta Bavaria, die die Interessen der Industrieunternehmen rund um Burghausen vertritt. Ihr Sprecher Bernhard Landhammer erklärt BR24: "Der Energiebedarf des Chemiedreiecks Burghausen beläuft sich pro Jahr auf circa 600 Millionen Normkubikmeter. Aufgrund eines drohenden Embargos ist es richtig und wichtig, dass sich die Politik für aufgefüllte Speicher einsetzt. Jeder Kubikmeter an Reserven wird uns in den Wintermonaten weiterhelfen."
Die Betreiber- und Vermarktungsstrukturen des Haidacher Speichers sind komplex. Errichtet wurde die Anlage von der RAG Austria AG. Diese ist auch zuständig für die Wartung und stellt sicher, dass das zum größten Teil aus Russland angelieferte Gas gespeichert werden kann. Wie viel von dem Rohstoff eingespeichert wird, darauf hat die RAG zwar keinen Einfluss, aber Unternehmenssprecher Stefan Pestl stellt klar: "Das Auffüllen braucht eine bestimmte Zeit." Volle Speicher von jetzt auf gleich sind also rein technisch ein Ding der Unmöglichkeit.
Für die Verteilung des Rohstoffs – sofern vorhanden – sind laut Bayerischer Staatsregierung und der RAG andere Unternehmen zuständig. Auf der Homepage der RAG heißt es dazu: "Die Vermarktung erfolgt durch astora und GSA." Sowohl die astora als auch die GSA sind Tochterunternehmen von Gazprom, dessen Mehrheit der russische Staat hält.
Der deutsche Ableger, Gazprom Germania, wurde vor einigen Wochen vom Mutterkonzern abgespaltet. Darauf hatte die Bundesregierung reagiert: Seit Anfang April steht Gazprom Germania unter der treuhändischen Verwaltung der Bundesnetzagentur. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) begründete den Schritt damit, dass man "Energieinfrastrukturen in Deutschland nicht willkürlichen Entscheidungen des Kremls aussetzen" werde. Daher wird die Gazprom Germania-Tochter astora, die eigentlich die Verteilung von einem Drittel des Haidacher Gasspeicher-Inhalts verantwortet, nun durch die Bundesnetzagentur verwaltet.
Auf Anfrage bestätigt die Bundesbehörde, dass sie in enger Abstimmung mit den Unternehmen der Gazprom Germania-Gruppe intensiv an der Befüllung der Speicher in Deutschland arbeite. Ziel sei es, die Vorgaben des jüngst verabschiedeten Gasspeichergesetzes zu erfüllen. Dieses sieht vor, dass die Speicher in Deutschland bis zum 1. November zu 90 Prozent gefüllt sind.
Über die Treuhand-Verwaltung von astora kann die Bundesnetzagentur also zumindest auf ein Drittel des Speichervolumens von Haidach versuchen Einfluss zu nehmen. Die anderen zwei Drittel werden von einer anderen Gazprom-Tochter, der GSA, vermarktet. Hier sind Deutschland weitgehend die Hände gebunden. Die Bundesnetzagentur erklärt BR24: "Das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz steht in engem Kontakt mit den zuständigen Stellen in Österreich. Es ist das gemeinsame Ziel, dass der Speicher Haidach bis zum Winter befüllt wird. Entsprechende Regelungen werden auch auf europäischer Ebene vorbereitet."
Es gibt also offenbar einen engen Austausch zwischen Berlin und Wien. Rechtsverbindliche Vorschriften können dem Nachbarland allerdings nicht gemacht werden. Das bayerische Wirtschaftsministerium erklärt dazu: "Der Gasspeicher Haidach unterliegt der österreichischen Zuständigkeit." Und der Vorschlag der EU-Kommission zur Sicherstellung bestimmter Füllstände ist zumindest derzeit noch nicht beschlossen.
Die deutschen Gasspeicher sind aktuell mit knapp 36 Prozent gefüllt, das entspricht in etwa dem EU-Durchschnitt. Der astora-Anteil im Haidacher Speicher liegt aktuell dagegen nur bei rund 20 Prozent – immerhin mit steigender Tendenz. Der GSA-Anteil, auf den Deutschland keinen Einfluss hat, der aber immerhin zwei Drittel des Volumens umfasst, liegt bei null Prozent. "Diese Entwicklung kann nicht im gemeinsamen Interesse Deutschlands, Bayerns und Österreichs sein. Sie konterkariert alle Bemühungen, die Erdgasversorgung sicherzustellen – und zwar in allen Ländern Europas", schreibt Söder an den österreichischen Kanzler.
Es sei ein zentrales Anliegen, zu einer umfassenden, gemeinsamen Lösung zu kommen. Doch in dem Schreiben macht Söder auch Österreichs Abhängigkeit von Bayern beim Thema Gasversorgung deutlich: "Die Länder Tirol und Vorarlberg werden zum Beispiel vollständig über Bayern und nicht über die anderen Länder Österreichs mit Erdgas versorgt."
Eine Reaktion aus Wien steht derzeit noch aus.
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