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Rechtsextreme Kommentare auf Facebook Expertin Heigl erklärt den neuen Rechtsextremismus

Kaum ploppt das Thema Flüchtlinge in der Facebook-Timeline auf, werden bald rassistische Kommentare daruntergeschrieben. Gibt es mehr Nazis, als wir denken? Expertin Miriam Heigl erklärt den neuen Rechtsextremismus rund um Sozialneid, Islamfeindlichkeit und dem Etikett "Armutsflüchtlinge"

Von: Silke Droll

Stand: 14.01.2015

Miriam Heigl, Fachstelle gegen Rechtsextremismus der Stadt München | Bild: Stadt München

Auf Facebook tauchen viele ausländerfeindliche und rechtsextreme Kommentare zu Asyl-Themen im Raum Passau, Freyung und Zwiesel auf. Unter einen Artikel mit der Überschrift "Zwiesel: Wo ist noch Platz für weitere Asylbewerber?" kamen Kommentare wie "Nirgends", "Im zug richtung auswertz" und "Do is sogoa da Kuahschtoi d´schod". In der Gruppe Spotted Pocking schrieb sogar jemand: "I hät nu a Gasflasche und a Handgranate rumliegen für des Gfrast. Lieferung frei Haus." Unter einem Artikel über Asylbewerber fordert ein anderer Kommentator "Macht Dachau auf". Die Rechtsextremismus-Expertin Miriam Heigl ordnet diese Entwicklung ein.

Woher kommen die Ausbrüche im Netz?

Zur Person

Miriam Heigl (38) leitet die Fachstelle gegen Rechtsextremismus der Stadt München. Die promovierte Politikwissenschaftlerin und Soziologin beobachtet aufmerksam die aktuellen Entwicklungen im Bereich Rechtsextremismus und Ausländerfeindlichkeit.

Heigl: Flüchtlinge stellen eine gute Projektionsfläche dar, einmal für Ängste, aber auch wenn man den eigenen Frust loswerden will. Das ist ein Gegenüber, bei dem es gewisse Hindernisse gibt, in Kontakt zu treten. Das können sprachliche Barrieren oder Bedenken bezüglich kultureller Unterschiede sein. Und immer wenn ich mit Menschen nicht so einfach in Kontakt treten kann, ist es leichter, mir Vorurteile über diese Menschen zu bilden und sie als Projektionsfläche für meine eigenen Ängste, Frustrationen oder Neidgefühle zu nutzen.

Sind wir eigentlich rechter, als wir denken?

Kommentare in der Facebook-Gruppe "Asylflut stoppen - auch in Niederbayern"

Heigl: Wir sehen in repräsentativen Studien zu den Einstellungsmustern in der Bevölkerung: Das geschlossene rechtsextreme Weltbild, zu dem die Holocaust-Leugnung, die Führerverehrung und der Rassismus gehören, nimmt eher ab. Aber wir haben eine neue Tendenz, einzelne Gruppen ganz stark auf ihre Gruppenzugehörigkeit zu reduzieren und diese Menschen abzuwerten. Und das wird eher schlimmer. Diesen Trend sehen wir insbesondere bei Flüchtlingen, bei Menschen muslimischen Glaubens und bei Sinti und Roma, also bei Menschen, die jetzt oft unter dem Label 'Armutsflüchtlinge' verhandelt werden. Da sind ganz massiv Ressentiments und Ablehnung da - ohne, dass man diese Menschen kennt. In dem Zusammenhang ist man auch gerne bereit, das eine oder andere Vorurteil zu artikulieren oder im Netz aktiv zu werden.

"Insofern kann man sowohl sagen, wir haben nicht unbedingt einen Anstieg des geschlossenen rechtsextremen Weltbilds, aber wir haben durchaus in unserer Gesellschaft Tendenzen, einzelne Gruppen immer massiver abzuwerten - und das widerspricht sich auch nicht."

Miriam Heigl

Das hängt auch mit einer Modernisierung unserer Gesellschaft zusammen, aber auch damit,  wie neuerdings versucht wird, Unterstützer zu gewinnen. Rechtsextreme heute argumentieren gar nicht mehr mit dem Holocaust, auch eine Holocaust-Leugnung ist ihnen nicht mehr so wichtig.  Rechtsextreme gehen heute ganz gezielt nur noch auf einzelne Gruppen und versuchen hier, möglichst viele Leute hinter sich zu bringen.

Spiegelt Verhalten im Netz tatsächliches Verhalten wider?

Heigl: Das Netz ist der Bereich, wo es einem offensichtlich am leichtesten fällt, einfach rauszuhauen, was man so im Kopf hat - insofern ist es wohl eher eine Momentaufnahme. Deswegen würde ich es nicht eins zu eins übersetzen, weder zum Verhalten an der Wahlurne noch zum Verhalten im öffentlichen Raum. Die Leute marschieren nicht unbedingt bei der nächsten NPD-Demo mit. Das Verhalten im Netz ist aber ein Gradmesser.

Äußern sich also viele Menschen im Internet leichtfertig rechtsextrem, sind aber im realen Leben "brave Bürger"?

Heigl: Ja, das würde ich absolut so sehen. Das Netz ist an manchen Stellen ein rechtlich und sozial unregulierter Raum. Selbst am Stammtisch werden nicht alle die Parolen erzählen, die sie jetzt im Netz einfach mal so verbreiten.

Das Asylthema bringt nun verstärkt rechtsextreme Äußerungen zu Tage?

Die Erstaufnahmeeinrichtung für Flüchtlinge in der Bayernkaserne in München war heuer immer wieder überfüllt.

Heigl: Das ist aus Sicht derjenigen, die schüren, sicherlich ein willkommener Fokuspunkt. Und diejenigen, die mal Frust ablassen wollen, haben das Gefühl, da darf man's. Deshalb ist auch das Verhalten der etablierten Politik unheimlich wichtig in diesem Moment: Wie geht man mit Flüchtlingen um? Welches Bild von Flüchtlingen produziert man? Und wie bringt man sie unter? Denn es gibt bestimmte Unterbringungsarten, die zwangsläufig dazu führen, dass die Flüchtlinge sich im öffentlichen Raum unmöglich verhalten. Wir hatten das in München mit der Bayernkaserne. Die Bedingungen dort waren so schlecht, dass die Flüchtlinge draußen ihr Bier getrunken haben und für die Anwohner war das natürlich auch eine Belastung.

Wie sehen sie den Umgang von Polizei und Staatsanwaltschaft mit Facebook?

Heigl: Das ist eine Riesen-Herausforderung, das Netz ist entgrenzt. Insofern fällt es allen - den Strafverfolgungsbehörden und zivilgesellschaftlichen Organisationen, die auf dem Laufenden bleiben wollen - schwer, wirklich den Überblick zu behalten.

Was kann ich machen, wenn ich bei Facebook auf einen rechtsextremen Kommentar stoße?

Heigl: Es ist auf jeden Fall sinnvoll und wichtig, alles von dem man denkt, dass es strafrechtlich relevant sein kann, zur Anzeige zu bringen. Jede Anzeige, die in die polizeiliche Statistik eingeht, ist wichtig. Oft spiegelt die Statistik nicht das reale Problem wider. Das sahen wir im Zusammenhang mit den NSU-Morden. Deswegen sollten immer alle, wenn sie es für angemessen halten, eine Anzeige stellen, damit die Statistik korrekter werden kann.

Wie kann ich so eine Anzeige bei der Polizei machen?

Kommentare auf Facebook

Heigl: Indem sie einfach benennen, was aus ihrer Sicht das Problem ist, beispielsweise Volksverhetzung. Sie können auch dazu schreiben, dass sie gerne auf dem Laufenden gehalten werden wollen. Dann müssten sie zumindest über die Einstellung informiert werden. Das mit der Einstellung ist natürlich gar nicht so selten bei Netzdelikten. Es gibt mehrere Probleme. Das eine: Dem Laien erscheint etwas strafrechtlich relevant, was eben doch nur haarscharf an der Grenze formuliert ist. Zudem ist es schwierig einen Urheber haftbar zu machen, wenn jemand mit einem Pseudonym unterwegs ist. Da muss man IP-Adressen rückverfolgen, Löschfristen beachten, das ist ziemlich kompliziert. Es wird auch viel auf Blogs oder Internetseiten gehetzt, deren Domain in einem ganz anderen Land registriert ist. Da ist es fraglich, ob überhaupt noch unser Strafrecht zur Anwendung kommt. Ich rate trotzdem immer Anzeige zu stellen, weil das einfach den Druck erhöht, und weil es auch dazu führt, dass die Strafverfolgungsbehörden dann dazu gezwungen sind, sich dem Thema zu widmen.

Viele Menschen scheuen sich vor einer Anzeige, weil sie keinen Ärger mit Rechtsextremen bekommen wollen. Erfährt derjenige, der angezeigt wurde, wer ihn angezeigt hat?

Heigl: Das passiert nur, wenn ein Verfahren eröffnet wird und sich der Täter beispielsweise über einen Anwalt Akteneinsicht beschafft. Darin sind die Namen derjenigen, die die Anzeige gestellt haben, nicht geschwärzt. Das ist ein Problem, mit dem wir immer wieder konfrontiert werden, dass Bürger davor Angst haben, dass organisierte Rechtsextreme Zugriff auf ihre Daten bekommen. Für ein erstes Anstoßen von Ermittlungen ist es trotzdem wichtig, diese Anzeigen zu stellen. Man kann sich auch eine Art Mittler suchen, sich zum Beispiel an einen Abgeordneten oder Pfarrer wenden, weil das Menschen sind, die ohnehin in der Öffentlichkeit stehen und weniger Angst haben, sich zu exponieren.

Kürzlich schrieb ein Polizist aus Pocking mit seinem privaten Facebook-Account unter einen Artikel zu Asylbewerbern: "I häd nu 60 Eintrittskarten fürs Onkelzkonzert mit Zugticket herzugeben. Aber ohne Rückfahrt. De erübrigt sich dann sowieso." Der Bezug zu den Deportationen in Konzentrationslager im Dritten Reich scheint eindeutig. Die Staatsanwaltschaft Traunstein aber stellte ihre Ermittlungen ein. Sie sah den Tatbestand Volksverhetzung nicht erfüllt, weil nicht gegen die Asylbewerber an sich, sondern gegen eine konkrete Gruppe gehetzt wurde. Reicht unser Paragraph Volksverhetzung aus?

So kommentierte ein Polizist auf Facebook.

Heigl: Es gibt immer wieder Bestrebungen auf Bundesebene, den Paragraphen zu ändern oder die Gesetzeslage zu modernisieren. Ich glaube, dass das sinnvoll wäre. Auch wenn es um Anfeindungen von Menschen muslimischen Glaubens geht, greift die Volksverhetzung nicht wirklich. Es heißt dann, es liege keine Benachteiligung einer Bevölkerungsgruppe aufgrund von Volkszugehörigkeit vor, sondern es gehe um die Abwertung einer Religion. Es gibt eine Modernisierung im rechtsextremen und rechtspopulistischen Diskurs seit den 80er Jahren, die unser Volksverhetzungsparagraph nach wie vor nicht richtig fasst.

Kann man diese leichtfertigen, rechtsextremen Äußerungen im Netz einem bestimmten Milieu zuordnen?

Heigl: Oft wird gedacht, rechtsextreme und rassistische Einstellungen wären ein Problem von Jugendlichen oder ganz Alten, die noch im Dritten Reich sozialisiert wurden. Wir sehen aber bei Umfragen, dass gerade diese neuen Tendenzen von Abwertungen spezifischer Minderheitengruppen kein Jugendthema sind, sondern vor allem mittelältere deutsche Männer trifft.

Sind in Bayern tatsächlich stärker rechtsextreme Einstellungen vertreten als anderswo?

Heigl: Mehrere Studien zeigen, dass Bayern ziemlich weit vorne liegt, was abwertende Einstellungsmuster betrifft. Die bayerische Staatsregierung hat diese Studien immer wieder kritisiert und etwa gefragt, wie sie erstellt wurden und welche Grundlagen diese wissenschaftliche Forschung hat. Im Bundeskontext sind diese Studien allerdings absolut anerkannt. Sie bilden beispielsweise auch eine Grundlage für die Ausgestaltung des Bundesprogramms gegen Rechtsextremismus, Gewalt und Menschenfeindlichkeit.

Wie ist diese verstärkte Rechtsextremismus-Tendenz in Bayern zu erklären?

Heigl: Eine wichtige Rolle spielt der Rahmen, in dem gesellschaftliche Debatten zum Beispiel über Zuwanderung und Integration laufen: Wo wird gesellschaftlich und politisch definiert, dass hier eine Grenze ist und dass hier Äußerungen beginnen, die man so im öffentlichen Diskurs nicht haben will. Sobald Leute verstanden haben, dass sie Gefahr laufen, dass das was sie sagen nicht mehr konsensual ist, treten sie oft einen Schritt zurück und formulieren vorsichtiger, formulieren mit mehr Bedacht und formulieren differenzierter. Bei konkreten Mobilisierungen zur Stimmungsmache gegen Minderheiten gibt es aber auch außerhalb Bayerns ganz massive Problemfelder, zum Beispiel in Dresden oder auch in Berlin.


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