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Erschossener Seniorenheimbewohner Bislang kein Ermittlungsverfahren

Nach dem tödlichen Polizeieinsatz in einem Seniorenheim im oberbayerischen Erharting gibt es derzeit kein Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft gegen die beiden Beamten. Das teilte die Staatsanwaltschaft Traunstein mit.

Von: Peter Kveton und Anja Wahnschaffe

Stand: 14.07.2016

"Wir klären den Sachverhalt auf eine strafrechtliche Relevanz hin ab. Aber es gibt bislang kein Ermittlungsverfahren."

Björn Pfeifer, Staatsanwaltschaft Traunstein

Die polizeiinterne Aufklärung des Falles liegt beim Landeskriminalamt in München. Dort werde nun der Tatablauf rekonstruiert, sagte ein Sprecher. Auch ein Schussgutachten werde erstellt.

Einlieferung wegen chronischer Schizophrenie

Laut Polizei sollte der Seniorenheimbewohner auf Beschluss des Landratsamtes Mühldorf wegen chronischer Schizophrenie, von der eine akute Fremdgefährdung ausging, in eine psychiatrische Fachklinik eingeliefert werden.

Die Polizei wurde dazu geholt, da der 62-Jährige bereits ein paar Stunden vor der Abholung aggressiv aufgetreten sei. Bei Zwangseinweisungen ist es auch üblich, dass der Krankentransport aus Sicherheitsgründen von der Polizei begleitet wird.

Patient stirbt an Verletzungen

Als der Mann von zwei Mitarbeiterinnen des Roten Kreuzes in Begleitung von zwei Polizisten von seinem Zimmer abgeholt wurde, soll er unvermittelt mit einem Messer auf die Beamten losgegangen sein. Dabei wurde ein Polizist erheblich an einem Bein verletzt. Sein Kollege zückte laut Polizei daraufhin aus Selbstschutz die Waffe.

"Der Messerangriff konnte mit dem Schusswaffengebrauch abgewehrt werden. Dabei hat der 62-Jährige tödliche Verletzungen erlitten. Eine Reanimation blieb erfolglos."

Pressesprecher Jürgen Thalmeier von der Polizei Mühldorf

Polizeipsychologin: Streifenpolizisten werden permanent geschult

Der Umgang mit gewaltbereiten Personen wie auch mit psychisch Kranken sei Teil der polizeilichen Grundausbildung, betont Silvia Oßwald-Meßner, Leiterin des Fachbereichs Psychologie an der Polizeihochschule Fürstenfeldbruck im Gespräch mit dem Bayerischen Rundfunk. Darüber hinaus würden Beamte im Streifendienst regelmäßig geschult.

"Wir haben ja das sogenannten polizeiliche Einsatztraining und da werden solche Situationen geübt, auch, dass die Polizisten überrascht werden. Wir haben hauptamtliche Trainer, die nur das eine machen: Polizeibeamte in Rollenspielen auf solche Einsätze vorbereiten. Deshalb denke ich, dass da sehr viel gemacht wird. Aber als Psychologin sagt man, da geht immer noch mehr, da ist immer Luft nach oben."

Silvia Oßwald-Meßner, Psychologin an der Polizeihochschule Fürstenfeldbruck

Bei Menschen in psychischen Ausnahmesituationen gebe es immer eine relative Unvorhersehbarkeit, betont Oßwald-Meßner. Menschen seien entweder alkoholisiert, hätten große Angst oder seien psychisch erkrankt und könnten deshalb Situationen nicht einschätzen und gar nicht verstehen, was um sie herum passiert. In solchen Situationen könne es natürlich zu vermehrter Aggression kommen, so die Psychologin.

Wer hat geschossen?

Derzeit ist laut Pressesprecher Jürgen Thalmeier von der Polizei Mühldorf noch unklar, ob beide Polizisten oder nur ein Beamter geschossen haben, beziehungsweise wie viele Schüsse abgegeben wurden und wo genau der Heimbewohner getroffen wurde.

Das Seniorenheim: Hier starb der 62-Jährige.

Die Beamten und BRK-Mitarbeiterinnen wurden befragt und psychologisch betreut. Der verletzte Polizist wurde ärztliche behandelt. Seine Verletzungen sind nicht lebensbedrohlich. Er konnte die Klinik noch am Mittwoch verlassen. Beide Beamte seien aber derzeit nicht im Dienst, sagte Polizeisprecher Jürgen Thalmeier. Der zweite Polizeibeamte, wie auch die beiden Pflegekräfte und ein Mitbewohner des 62-Jährigen, der in dem Zimmer zur Tatzeit anwesend war, kamen mit dem Schrecken davon.

Der liberianische Staatsangehörige wohnte seit zehn Jahren in dem Pflegeheim. Weiteres zu der Identität des Mannes ist noch nicht bekannt. Warum der 62-Jährige im Altenheim war, wann und wo er aus Liberia eingereist ist, und ob er in Deutschland schon einmal auffällig gewesen ist, müsste nun genau untersucht werden, so Pressesprecher Thalmeier.

Deutsche Stiftung Patientenschutz forderte rasche Aufklärung

Polizisten am Ort des Geschehens

Die Deutsche Stiftung Patientenschutz nannte es einen deutschlandweit einmaligen Vorgang, dass ein Pflegeheimbewohner von der Polizei erschossen wird. Der Fall müsse rasch vollständig aufgeklärt werden, sagte Vorstand Eugen Brysch.

Vor allem solle herausgefunden werden, mit welcher Eigensicherung die Polizisten bei dem Einsatz vorgingen. Es gebe schließlich Stichschutzwesten und Pfefferspray, erläuterte der Sprecher der Organisation für Pflegebedürftige und Schwerstkranke.

2014 wurden nach Angaben des Landeskriminalamtes in Bayern elf Menschen von Kugeln aus Polizeiwaffen getroffen. 2015 waren es zwei und in diesem Jahr bislang vier, den neuen Fall bereits eingerechnet. Wie oft Menschen dabei starben, konnte eine Sprecherin nicht sagen.


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