NSU-Prozess


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Plädoyer im NSU-Prozess Bundesanwaltschaft fordert lebenslange Haft für Zschäpe

Der gestrige Verhandlungstag im NSU-Prozess endete mit einem Paukenschlag: Der Angeklagte André E., der bisher auf freiem Fuß war, wurde im Gerichtssaal in Gewahrsam genommen. Zuvor hatte die Bundesanwalt ihre Anträge auf Strafzumessung für die fünf Angeklagten gestellt. Alle sollen in Haft, Beate Zschäpe für immer.

Von: Thies Marsen

Stand: 13.09.2017 | Archiv

Beate Zschäpe | Bild: picture-alliance/dpa

Wenn es nach dem Willen der Bundesanwaltschaft geht, dann soll Beate Zschäpe nicht nur lebenslänglich hinter Gitter. Außerdem soll das Münchner Oberlandesgericht die besondere Schwere ihrer Schuld feststellen. Das würde bedeuten: Die Hauptangeklagte im NSU-Prozess kann nicht mit einer frühzeitigen Haftentlassung rechnen. Die Anklagebehörde beantragte für sie zudem Sicherungsverwahrung. Selbst nach einem Ende ihrer regulären Haft, würde sie dann weiter inhaftiert bleiben, im sogenannten Maßregelvollzug. Denn laut Anklagebehörde hat Zschäpe einen Hang zu Gewalttaten und ist für die Allgemeinheit weiterhin gefährlich.

Für Bundesanwalt Herbert Diemer ist klar: Zschäpe ist für jeden einzelnen der Morde des NSU an neun Migranten und einer Polizistin verantwortlich. Schon allein dafür komme nur eine lebenslange Haftstrafe in Frage. Darüber hinaus sei sie unter anderem noch für zwei Sprengstoffanschläge in Köln und für weitere dem NSU zur Last gelegte Taten verantwortlich.

Zschäpe als Tarnkappe

Denn Zschäpe sei nicht nur Mitwisserin gewesen, sondern auch Mittäterin. Sie habe die Finanzen und Kommunikationsmittel der Gruppe verwaltet, die Fassade aufrecht erhalten und quasi als Tarnkappe fungiert. Ohne sie seien die Taten nicht möglich gewesen, so der Bundesanwalt. Dazu komme, dass sie nach der Selbstenttarnung des NSU am 4. November 2011 in der gemeinsamen Wohnung in der Zwickauer Frühlingsstraße Feuer legte. Dadurch habe sie andere Hausbewohner in Lebensgefahr gebracht. Die Bundesanwaltschaft wertet das als Mordversuch. Insgesamt zählt die Anklagebehörde 14 Taten, von denen jede einzelne mit lebenslänglich zu bestrafen sei.

12 Jahre für Wohlleben, 3 Jahre für Carsten S.

Auch für die anderen Angeklagten im NSU-Prozess hat die Bundesanwaltschaft am Vormittag bereits ihren Antrag auf Strafzumessung gestellt: Ralf Wohlleben und Carsten S. Die beiden sind die mutmaßlichen Lieferanten der berüchtigten Ceska-Pistole, mit der der NSU neun Migranten ermordete: Dabei fällt die Forderung höchst unterschiedlich aus. Wohlleben soll für 12 Jahre ins Gefängnis. Die Bundesanwaltschaft hält ihn für die zentrale Unterstützerfigur des NSU in seiner Frühphase. Carsten S, der als einziger frühzeitig Reue und den Willen zur Aufklärung gezeigt hat, war zur Tatzeit Heranwachsender. Er soll daher nur eine Jugendstrafe von drei Jahren erhalten.

Auch Holger G., der den NSU-Terroristen Führerschein, Pass und Krankenkarte für ihr Leben im Untergrund zur Verfügung stellte, soll ebenfalls vergleichsweise glimpflich davonkommen: Für ihn fordert die Bundesanwaltschaft fünf Jahre Haft. André E. dagegen darf mit einer deutlich höheren Strafe rechnen, als zu Anfang des Prozesses abzusehen war: Für ihn beantragte die Anklagebehörde zwölf Jahre. Denn im Verlauf von mehr als vier Jahren NSU-Prozess habe sich ergeben, dass André E. mehr Schuld auf sich geladen hat, als ursprünglich in der Anklageschrift ausgeführt. Die Bundesanwaltschaft beschuldigt ihn nun auch der Beihilfe zum versuchten Mord und zum schweren Raub, weil er mehrere Wohnmobile angemietet haben soll, die der NSU für seine Taten einsetzte. 

André E. hatte die Tasche schon gepackt

Bislang war André E. auf freiem Fuß. Angesichts der Höhe der angedrohten Strafe sieht die Bundesanwaltschaft bei dem 38-Jährigen nun akute Fluchtgefahr, weshalb sie die sofortige Inhaftierung beantragte. Darüber will das Münchner Oberlandesgericht morgen beraten, weshalb der morgige Verhandlungstag abgesetzt wurde. Damit André E. sich bis dahin nicht absetzen kann, wurde er heute noch im Gerichtssaal in Gewahrsam genommen. Er hatte wohl damit gerechnet, denn laut seinem Anwalt hatte er heute früh bereits in weiser Voraussicht seine Tasche gepackt.


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