NSU-Prozess


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Nach fünf Jahren Verhandlungsdauer NSU-Prozess: Muss Zschäpe lebenslang ins Gefängnis?

Nach fünf Jahren will das Oberlandesgericht in München heute die Urteile im NSU-Prozess verkünden. Insgesamt fünf Angeklagte müssen sich verantworten – unter anderen wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung, Mord beziehungsweise Beihilfe zum Mord. Während die vier Männer auf der Anklagebank mit zeitlich befristeten Gefängnisstrafen rechnen müssen, droht der Hauptangeklagten Beate Zschäpe lebenslange Haft.

Von: Thies Marsen

Stand: 11.07.2018 | Archiv

ARCHIV - 06.05.2013, Bayern, München: Die Angeklagte Beate Zschäpe im Gerichtssaal  | Bild: dpa-Bildfunk/Peter Kneffel

Noch sind die Urteile nicht gesprochen. Doch so mancher ist sich schon sicher, wie sie ausfallen werden – etwa Nebenklageanwalt Bernd Behnken:

"Am Ende des Verfahrens wird es so sein, dass Frau Zschäpe zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt wird, möglicherweise auch mit der Feststellung der besonderen Schwere der Schuld, ob dann noch eine Sicherungsverwahrung rausschaut, das weiß ich nicht, das ist letztendlich auch egal." Bernd Behnken

Muss Zschäpe lebenslang hinter Gitter?

Denn wenn das Gericht die besondere Schwere der Schuld feststellt, dann ist ohnehin so gut wie ausgeschlossen, dass Beate Zschäpe schon nach 15 oder 20 Jahren entlassen wird. Dann muss sie damit rechnen, tatsächlich bis an ihr Lebensende hinter Gittern zu bleiben. Eine durchaus angemessene Strafe - finden viele, denen die Neonaziterroristen ihre Liebsten genommen haben – etwa Kerim Şimşek, Sohn des ersten NSU-Mordopfers Enver Şimşek.

"Ja, im höchsten Maße bestraft sollen sie werden, sie sollen das Höchste bekommen, was es gibt." Kerim Şimşek, Sohn des ersten NSU-Mordopfers Enver Şimşek

Hinterbliebene fragen: Warum?

Andere Hinterbliebene dagegen betonen, das Strafmaß sei ihnen egal – sie wollten vor allem Antworten auf ihre brennendste Frage: Warum musste mein Sohn, mein Vater, mein Bruder, mein Mann sterben? Yvonne Boulgarides, Witwe des Münchner Mordopfers Theodoros Boulgarides, ist enttäuscht, dass die meisten Angeklagten wenig bis nichts zur Aufklärung beigetragen haben.

"Es hat mich erschreckt, dass, wenn man so lange in einem Prozess sitzt, dass da kein Umdenken anfängt. Und wenn das geforderte Strafmaß eingehalten wird, dann haben sie alle genügend Zeit, darüber nachzudenken." Yvonne Boulgarides, Witwe des Münchner Mordopfers Theodoros Boulgarides

Verteidiger fordern Freispruch im NSU-Prozess

Lebenslang für Zschäpe, jeweils zwölf Jahre Haft für die Mitangeklagten Ralf Wohlleben und André E., fünf Jahre für Holger G. und drei Jahre Jugendhaft für den geständigen Kronzeugen Carsten S. - das fordert die Bundesanwaltschaft für die fünf Angeklagten. Die meisten Verteidiger verlangen dagegen Freispruch für ihre Mandanten – teils wegen Unschuld, teils wegen Verjährung.

Zschäpes Anwalt: Mandantin kann nur wegen der Banküberfälle verurteilt werden

Zschäpes Anwalt Mathias Grasel argumentiert, seine Mandantin könne lediglich wegen der Banküberfälle des NSU bestraft werden und weil sie nach dem Auffliegen der Terrorzelle die gemeinsame Wohnung in Zwickau in Brand setzte. Mit den zehn Morden des NSU habe sie dagegen nichts zu tun gehabt, erklärte Grasel nach seinem Plädoyer.

"Ich halte die Beweiswürdigung und auch die rechtliche Beurteilung durch die Bundesanwaltschaft für unzutreffend. Eine Mittäterschaft kann hier nicht entsprechend der gesetzlichen Anforderungen begründet werden." Mathias Grasel, Verteidiger von Beate Zschäpe

Befürchtung: Urteil im NSU-Prozess wird ein Exempel

Eine Haftstrafe unter zehn Jahren sei deshalb angemessen, so Grasel. Stefan Hachmeister, Anwalt des mutmaßlichen NSU-Unterstützers Holger G., hat gar keinen Strafantrag gestellt. Er fürchtet, dass an seinem – und den anderen Angeklagten – ein Exempel statuiert werden soll.

"Es dürfte glaube ich nicht verborgen geblieben sein, dass dieses Verfahren einen ganz enormen Druck ausgelöst hat, also Druck auf das Gericht ausgelöst hat. Es war irgendwie von Anfang an klar, so ist zumindest die Wahrnehmung unseres Mandanten gewesen, dass die Richtigen eigentlich schon gefunden wurden und es nur darum ging, sie dann auch möglichst hart zu bestrafen." Stefan Hachmeister, Anwalt des mutmaßlichen NSU-Unterstützers Holger G.

Glaubhafte Reue und umfassende Aussage von Carsten S.

Einer allerdings kann damit rechnen, vergleichsweise glimpflich davon zu kommen: Carsten S. - er soll zwar die Mordwaffe an den NSU geliefert haben und ist deshalb wegen Beihilfe zum Mord angeklagt, allerdings ist er der einzige Angeklagte, der glaubhaft Reue gezeigt und umfassend ausgesagt hat – und der der Neonaziszene schon vor mehr als 15 Jahren den Rücken gekehrt hat. Opferanwalt Mehmet Daimagüler:

"Ich denke, das müssen wir auch anerkennen, dass er frühzeitig mit der Szene gebrochen hat und deshalb glaube ich auch, dass der Mann nicht ins Gefängnis gehört." Opferanwalt Mehmet Daimagüler

Auch Kerim Şimşek hat Carsten S. verziehen. Von der Schuld der anderen Angeklagten ist er dagegen überzeugt – aber auch davon, dass es noch mehr NSU-Mitglieder und -Unterstützer gibt, die für den Tod seines Vaters und der anderen neun Mordopfer verantwortlich sind.

"Also ich bin der Meinung, dass da noch freie Stühle an der Anklagebank ist, da müssen noch ein paar Leute hin. Ich wollte hundertprozentige Aufklärung und dass alle, die ihre Finger im Spiel hatten, dass die alle bestraft werden." Kerim Şimşek, Sohn des ersten NSU-Mordopfers Mehmet Şimşek

Demonstranten fordern: "Kein Schlussstrich" mit dem NSU-Prozess

Das fordert auch das Bündnis "Kein Schlussstrich", das für den Tag der Urteilsverkündung zu Demonstrationen in ganz Deutschland aufgerufen hat – die größte findet in München statt. Den ganzen Tag über wollen Demonstranten vor dem Justizgebäude Präsenz zeigen und abends durch die Innenstadt ziehen:

"Solange das NSU-Netzwerk nicht komplett enttarnt wurde, solange alle offenen Fragen nicht beantwortet wurden, solange die Rolle des Staates, die Verwicklung insbesondere des Verfassungsschutzes nicht aufgeklärt wurden und ernsthafte politische Konsequenzen nach sich ziehen – solange werden wir auch 'Kein Schlussstrich' fordern." Patrycia Kowalska, Sprecherin des Bündnisses "Kein Schlussstrich"


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