NSU-Prozess


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176. Tag im NSU-Prozess Traumatisierte und eingeschüchterte Opfer

Der zweite Tag im NSU-Prozess mit den Opfern des Kölner Nagelbombenanschlags. Auch wenn viele der Wunden verheilt sind: Was allen bleibt, sind die psychischen Verletzungen. Von Julian von Löwis.

Von: Julian von Löwis

Stand: 21.01.2015 | Archiv

NSU-Prozess: Kölner Keupstraße nach dem Nagelbombenanschlag am 9. Juni 2004 | Bild: picture-alliance/dpa

„Das war wie in einer Kriegsszene aus dem Fernsehen“, sagt Hasan Y. der gerade im Friseursalon arbeitete, als die Bombe explodierte. Was der 40 Jährige heute als Zeuge vor dem Oberlandesgericht beschreibt, klingt auch wie das Geschehen an einem Kriegsschauplatz: Blutverströmte Menschen, laute Schreie, überall Trümmer.

"Ein Mann mit blonden Koteletten"

Die Nagelbombe explodierte direkt vor dem Schaufenster des Ladens, ein Mann hatte sie, montiert auf den Gepäckträger eines Fahrrades, wenige Minuten zuvor dort abgestellt. Der Friseur Y. hat den Mann kurz gesehen. "Er war 1,80 Meter groß und trug eine Baseballkappe" erzählt er "und er hatte blonde Koteletten, da ich Friseur bin, ist mir das natürlich aufgefallen".

Die Bundesanwaltschaft geht davon aus, dieser Mann war Uwe Mundlos. Sein mutmaßlicher Komplize Uwe Böhnhradt soll den Sprengsatz dann per Fernsteuerung gezündet haben.

Am Tag des Anschlages gab Y. einem Polizisten noch seine Beschreibung des Mannes - mit dem Hinweis auf die blonden Haare, "daraufhin fragte der Polizist ob es nicht eher dunkle Haare gewesen sind?", so der Zeuge heute.

Die Opfer, die wie Täter behandelt wurden

Y. erzählt, dass er und seine gesamte Familie, seinem Bruder gehört der Friseursalon, in den Wochen nach der Explosion von der Polizei unter Druck gesetzt wurden. Immer wieder mussten sie zu stundenlangen Verhören mit auf das Revier. "Sie warfen uns vor, dass wir Versicherungsbetrug begehen wollten", sagte er im Zeugenstand, "sie haben versucht die Familienmitglieder mit ihren Fragen gegeneinander auszuspielen".

Auch ein anderer Zeuge erhebt schwere Vorwürfe gegen die Ermittler von damals. Abdullah Özkan wollte gerade den Friseurladen verlassen, als der Sprengsatz detonierte. Er erlitt schwere Verletzungen, mehrere Scherben steckten in seinem Kopf, er blutete stark. "Ich dachte ich bin jetzt in der Hölle angekommen", sagte er heute vor Gericht. "Ich hatte wirklich Angst um mein Leben, es hat nach Pulver gerochen, ich habe Schreie gehört und nach Luft gerungen."

Wenige Tage danach war auch er bei der Polizei, um auszusagen. Da wurde er aufgefordert sich auszuziehen. "Wegen der Spuren, hat der Polizist gesagt. Ich musste mich ausziehen bis auf die Unterhose. Ich habe gesagt: Nein. Ich bin doch kein Verdächtiger. Ich bin Opfer. Aber für ihn war das normal."

Die Angst hat niemanden losgelassen

Das Geschäft von Metin I. liegt schräg gegenüber dem Friseurladen, vor dessen Fenster das Fahrrad mit der Nagelbombe abgestellt wurde. Der 58 Jährige Juwelier saß am 9. Juni 2004 wie immer draußen vor seinem Laden und wartete auf Kundschaft. „Es war ein sehr schöner, sonniger Tag“, erinnert sich der 58-jährige nun als Zeuge im Gerichtssaal. Gerade kamen zwei Bekannte auf ihn zu, als nur wenige Meter entfernt die Bombe explodierte. Der Händler dachte sofort an eine Gasexplosion, doch überall waren diese Nägel.

Über 700 davon, gut zehn Zentimeter lange Zimmermannsnägel, wurden durch die Luft geschleudert, Metin I. blieben drei Stück im Körper stecken, zwei in der rechten Schulter und einer in der rechten Wade. Seine Verletzungen beschreibt der Mann als nicht weiter dramatisch, doch er leidet seitdem immer noch manchmal unter Angstzuständen. „Gerade wenn ein Fahrrad vorbeifährt oder ein Mann mit Rucksack vorbeigeht, laufe ich schnell in meinen Laden weil ich Angst habe, es könnte wieder etwas passieren“, sagte er heute im Zeugenstand.

Tinnitus, Schlafstörungen, Konzentrationsschwächen

Die Geschehnisse aus Sicht der Opfer ähneln sich natürlich in Bezug auf die Explosion und das Chaos unmittelbar danach, doch ihre Lebensgeschichten unterscheiden sich teilweise erheblich. Der Händler I. sagt: „Ich habe sofort wieder angefangen zu arbeiten, ich kann ja nicht einfach nur zu Hause rumsitzen.“

Eine andere Zeugin, Emine K., konnte das nicht – sie war zur Zeit des Anschlags im Laden ihres Bruders, der direkt neben dem Friseursalon liegt. Von den umherfliegenden Glassplittern wurde sie nicht getroffen doch sie hört seit damals auf dem rechten Ohr nichts mehr, hat schwere Konzentrationsschwächen, ist extrem vergesslich und leidet unter Schlafstörungen. Sie hat in den letzten Jahren versucht, einen Job zu bekommen, aber in den Vorstellungsgesprächen konnte sie sich oft nicht an die ihr gestellten Fragen erinnern und bekam die Stellen deswegen nicht.

"Unbegreiflich schlimmer Schmerz"

Der erste Zeuge des Tages, der Rentner Gerd H., fuhr mit dem Fahrrad am Friseurladen vorbei, als die Bombe explodierte. „Das war ein Knall, so etwas Lautes habe ich noch nie gehört“, erinnert er sich. „Danach kamen in Windeseile die Menschen aus den Restaurants geströmt, aber ich hatte nur mit meinem Schmerz zu tun, der unbegreiflich schlimm war“, beschreibt er die Momente nach der Explosion. Er erlitt einen schweren Gehörschaden. Ein Tinnitus macht ihm noch heute schwer zu schaffen.

In einem Punkt stimmen die Aussagen der Opfer fast immer überein: Angst. Viele erzählen davon, dass sie bis heute an Angstzuständen leiden und das Erlebte einfach nicht vergessen, aber auch nicht wirklich verarbeiten können.

 


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