NSU-Prozess


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Viele Fragen bisher offen geblieben Der NSU-Prozess startet in sein vermutlich letztes Jahr

Der NSU-Prozess startet in sein vermutlich letztes Jahr. Die Opfer ziehen Bilanz. Vor allem für die Angehörigen des im Jahr 2000 ermordeten Enver Simsek ist heute ein besonderer Tag.

Von: Ina Krauß

Stand: 09.01.2018 | Archiv

NSU-Mordopfer - oben, v.l.: Enver Simsek, Abdurrahim Özüdogru, Süleyman Tasköprü, Habil Kilic, Michèle Kiesewetter; unten, v.l.: Mehmet Turgut, Ismail Yasar, Theodoros Boulgarides, Mehmet Kubasik, Halit Yozgat | Bild: pa/dpa/Polizei-Handouts

Der türkischstämmige Blumenhändler Enver Simsek gilt als erstes Mordopfer der rassistischen Ceska-Mordserie des NSU. Für seine Angehörigen ist der heutige Tag deshalb so wichtig, weil er die letzte Gelegenheit für die Familie bietet, ihr ganz eigenes Fazit nach über viereinhalb Jahren Prozess zu ziehen. Die Erwartungen an das Verfahren waren hoch. Die Tochter des ermordeten Enver Simsek, Semiya, formulierte es vor fünf Jahren zu Beginn des Prozesses so:

"Wir als Familie haben jahrelang auf diesen Prozess gewartet, obwohl wir wissen, es ist eine harte Zeit und wird uns viel Kraft kosten. Aber es kann uns nicht so wehtun, wie es uns mal wehgetan hat. Wir haben uns gedacht, dass wir Nebenkläger in dem Prozess sein wollen. Wir möchten Fragen stellen können und Teilnahme an dem Prozess haben können."

Semiya Simsek, Tochter des NSU-Opfer Enver Simsek

Nie ernsthaft in Richtung Rechtsextremismus ermittelt

Doch die Hoffnungen der Familie haben sich größtenteils nicht erfüllt. Semiya Simseks Bruder Abdulkerim war noch ein kleiner Junge, als sein Vater an dessen Blumenstand in Nürnberg erschossen wurde. Der brutale Mord glich einer Hinrichtung. Jahrelang wurde die Familie verdächtigt, selbst in kriminelle Machenschaften verwickelt gewesen zu sein. Die Ermittlungen in den Mordfällen waren geprägt von fremdenfeindlichen Vorurteilen.

Nie wurde ernsthaft in Richtung Rechtsextremismus ermittelt. Bis sich im Jahr 2011 nach dem Selbstmord von Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt herausstellte, dass Enver Simsek Opfer von Rechtsterroristen geworden war. Damit war die Familie rehabilitiert, aber sie treiben dennoch viele Fragen um.  

"Wie mein Vater ermordet worden ist, warum mein Vater, wie die anderen Leute ausgewählt worden sind, ob es noch weitere Hintermänner gibt, wovon ich auch ausgehe. Ob sie Befehle gekriegt haben, warum die Leute sterben mussten."

Abdulkerim Simsek

Nebenkläger fordern weitere Ermittlungen

Fragen, die auch Beate Zschäpe in ihrer Aussage, die sie von ihren Anwälten verlesen ließ, nicht ansatzweise beantwortete. Fragen der Nebenkläger ließ sie ohnehin nicht zu. Fragen, die aber auch die Bundesanwaltschaft nach Ansicht vieler Nebenkläger nur unzureichend aufgeklärt hat. Sie kritisieren vor allem die These der obersten Staatsanwälte, das NSU-Trio habe weitgehend isoliert gehandelt und keine lokalen Unterstützer gehabt.

Die meisten Nebenkläger fordern deshalb in ihren Plädoyers weitere Ermittlungen zum Umfeld des NSU und kritisieren, dass die Aufklärungsinteresse der Opfer und ihrer Anwälte während des Prozesses oftmals blockiert wurde. Seda Basay vertritt Familie Simsek als Nebenkläger.

"Was muss denn eigentlich in Deutschland noch passieren, dass man bereit ist aufzuklären, gerade in einem solchen Fall. Dass immer noch gesagt wird, nein, die Akten können nicht herausgegeben werden, Geheimhaltungsinteresse des Staates überwiegt hier, ja wann soll das denn sonst passieren?"

Seda Basay, vertritt Familie Simsek als Nebenkläger

Mit den Schlussvorträgen von Seda Basay und Familie Simsek kommen die Plädoyers der insgesamt 90 Nebenkläger im NSU Prozess langsam aber sicher zum Ende. Den Schlusspunkt setzt die Familie des 2005 in München ermordeten Theodoros Boulgarides. Danach sind die Verteidiger am Zug.

Ihre Plädoyers werden voraussichtlich mehrere Wochen dauern. Danach haben die Angeklagten das Wort. Falls keine weiteren Befangenheits- und Beweisanträge gestellt werden, könnte ein Urteil noch im Frühjahr gesprochen werden.


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