NSU-Prozess


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425. Verhandlungstag, 15.5.2018 Verteidiger-Plädoyers für Wohlleben

Korrekte Kurzhaar-Frisur, dunkle Hose, kariertes Hemd, darüber eine Strickjacke oder ein Pullover – so tritt der Angeklagte Ralf Wohlleben fast immer im Saal A 101 auf. Auch heute, da er im Zentrum des Interesses stand, denn seine Anwälte begannen mit ihren Plädoyers.

Von: Thies Marsen

Stand: 15.05.2018 | Archiv

Hände und eine Computer-Tastatur (Symbolbild) | Bild: picture-alliance/dpa

15 Mai

Dienstag, 15. Mai 2018

Der mutmaßliche Lieferant der Mordwaffe des NSU sieht nicht so aus, wie man sich einen Neonazi im Allgemeinen vorstellt, also mit Glatzkopf, Bomberjacke und Springerstiefeln. So sah er nicht mal in den 1990er Jahren aus, als er noch gemeinsam mit den späteren NSU-Killern Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt bei Nazi-Demos aufmarschierte. Wohlleben fühlt sich stilistisch eher einer anderen extrem rechten Traditionslinie verpflichtet, einer Linie, die übrigens viel älter ist, als der erst in den 1970er Jahren entstandene rassistische Arm der Skinhead-Subkultur (es gibt auch linke Skins, aber das führt an dieser Stelle dann doch etwas zu weit).

Angehöriger des "bündischen Flügels"

Ralf Wohlleben orientiert sich ganz offensichtlich am sogenannten "bündischen Flügel" der rechten Szene, eine Art völkischen und antisemitischen Pfadfinderbewegung, die sich bereits in den 1920er Jahren entwickelte, dann in der Hitler Jugend aufging und nach dem Zweiten Weltkrieg in Organisationen wie Sturmvogel und Freibund oder in inzwischen verbotenen Gruppierungen wie Wiking Jugend und Heimattreuer deutscher Jugend (HDJ) weiterlebte. Die völkisch-bündische Bewegung versteht sich als Kaderschmiede einer nationalen Elite (und nebenbei auch als Heiratsbörse für Kameraden und Kameradinnen). Ihres Exponenten blicken oft herunter auf den Pöbel der "Saufnazis", die für sie meist nur nützliche Idioten sind.

Unterstützung durch Ehefrau und Wohlleben-Lookalikes

Vier Prachtexemplare bündischer Rechtsextremisten machten sich heute auf der Zuschauertribüne im Saal A101 breit: Pünktlich zum Beginn des Plädoyers seiner Verteidigung erhielt Ralf Wohlleben nicht nur moralische Unterstützung durch seine Ehefrau, die sich zu ihm auf die Anklagebank gesellte, sondern auch durch vier Wohlleben-Lookalikes:

Nicht mehr ganz junge Männer mit akkurater, über den Ohren besonders kurz geschorener Frisur, in Kniebund- oder Zimmermannshosen und im karierten Hemd. Zwei sind als Szenegrößen bekannt, einer davon ein früherer HDJ-Funktionär. Was sie von einer freien Presse halten, demonstrierten sie bereits vor Verhandlungsbeginn durch ihr durchaus provozierendes Verhalten gegenüber uns Journalisten: Aggressives Auf-die-Pelle-Rücken, offensives Über-die-Schulter-Starren auf unsere Monitore.

Anwälte sprechen von "Lügenpresse"

Auch mit der Wahl seiner Anwälte hat Ralf Wohlleben übrigens seine Verbundenheit zur Elite der extrem rechten Szene dokumentiert: Darunter ist – neben Rechtsrockmusikern und einer Ex-NPD-Funktionärin – auch der langjährige Chef der verbotenen Wiking Jugend. Dass diese im Wortsinne Rechts-Anwälte von der "Systempresse" wenig halten, zeigen sie seit fünf Jahren, indem sie sich Interviews verweigern. Heute setzten sie noch eins drauf und fabulierten von einer "Lügenpresse", die ihren Mandanten von Anfang an vorverurteilt und "verteufelt", die „Meinungsmache und Hetze“ betrieben habe. Doch nicht nur wir Berichterstatter wurden aufs Korn genommen, auch die Politiker "der herrschenden Kasten", die angeblich Einfluss auf den Prozess genommen hätten. Und sogar die Richter, die "mit aller Macht" die Aufklärung verhindert hätten und denen eine Verteidigerin schließlich sogar drohte, sie würden "sich einst vor dem Richterstuhl des Ewigen verantworten" müssen.

Satzbaukasten der Neonazipropaganda

Auch sonst gab es einiges aus dem Satzbaukasten der Neonazipropaganda zu hören: Etwa über einen angeblichen "Schuldkult", mit dem das deutsche Volk konditioniert werden solle, damit es sich "in den eigenen Untergang" füge. Und dabei hat der hochrangigste Rechtsextremist unter Wohllebens Anwälten heute noch gar nicht das Wort ergriffen. Wir dürfen uns also noch auf so einiges gefasst machen.

Fragt sich  nur, was die Anwälte damit erreichen wollen. Gleich mehrfach betonten sie heute, dass sie eigentlich gar nicht hätten plädieren wollen. Dies sei ohnehin sinnlos, das Gericht habe sein Urteil ja bereits vor langer Zeit gefällt. Aber an wen richten sie sich denn dann mit ihren Plädoyers? Etwa doch an uns Medien, die wir für sie doch nur Hetzer sind? Vermutlich ist ihre Zielgruppe vor allem die rechte Szene selbst, in der ihr Mandant seit langem zum Märtyrer stilisiert wird, für den Soli-CDs gepresst und Spendengelder gesammelt werden. Allzu groß allerdings scheint die Solidarität mit dem 43-Jährigen dann aber doch nicht zu sein. Die befürchtete Mobilisierung von Seiten der Neonazis zum heutigen Plädoyerauftakt seiner Anwälte blieb jedenfalls aus. Außer den vier Bündischen war keiner in den Saal A101 gekommen. In ihrer Mitte hatten sie übrigens ein junges Mädchen: Wohllebens Tochter. Die nächste Generation scheint bereits nachzuwachsen.


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