NSU-Prozess


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414. Verhandlungstag, 13.3.2018 Richter Götzl gibt alles

Eigentlich sollten heute die Verteidiger mit ihren Schlussanträgen beginnen. Ein weiterer Befangenheitsantrag der Verteidigung Wohlleben hat dies verhindert. Mit einem wahren Redemarathon erreicht Richter Manfred Götzl immerhin, dass es zumindest vorläufig bei diesem einen Ablehnungsgesuch bleibt.

Von: Christoph Arnowski

Stand: 13.03.2018 | Archiv

Christoph Arnowski | Bild: BR / Jutta Müller

13 März

Dienstag, 13. März 2018

Seit fast fünf Jahren läuft jetzt der NSU-Prozess. Ein wahres Mammutverfahren, bei dem es nicht weiter verwundert, dass  praktisch nie der ursprünglich gesetzte Zeitplan eingehalten wurde. Auch heute rechnet daher eigentlich keiner der Prozessbeteiligten ernstlich damit, dass die Verteidiger der Hauptangeklagten Beate Zschäpe ihr Plädoyer vortragen würden. Schließlich hatte das Gericht noch nicht über  drei Anträge  der Verteidigung entschieden. Und dann stellen die Anwälte von Ralf Wohlleben, dem mutmaßlichen Lieferanten der sogenannten Ceska-Pistole, mit der der NSU neun Morde verübte, am Morgen gleich noch einen Beweisantrag.

Wieder geht es um die Tatwaffe

Sie forderten die Beiziehung eines Vernehmungsprotokolls aus dem Untersuchungsausschuss zum NSU-Komplex im baden-württembergischen Landtag vom 5. März. Dort war an diesem Tag ein früherer Neonazi vernommen worden, der auch schon in dem noch nicht entschiedenen Beweisantrag der Wohlleben-Verteidigung  vor einigen Wochen eine zentrale Rolle spielte. Dieser Jug P. soll dem damaligen Anführer der Neonazi-Szene im thüringischen Rudolstadt Sven R. noch vor dem Jahr 2000, also dem Beginn der Ceska-Mordserie, eine Pistole gleichen Typs geliefert haben. Wenn das zuträfe, so die Logik der Anwälte, sei die These der Bundesanwaltschaft erschüttert, wonach ihr Mandant Wohlleben der Auftraggeber der Waffenbeschaffung in der Schweiz ist. Das Gericht unterbricht, will beraten, wie es weitergeht.

Der Redemarathon von Richter Götzl

Um 10.38 Uhr setzt Götzl fort und zu einem wahren Redemarathon an, wie er ihn in diesen fast fünf Jahren im NSU-Prozess noch nie gehalten hat. Denn er muss selbstverständlich nicht  nur erklären, ob seine Kammer einen Antrag annimmt oder ablehnt, sondern dies auch ausführlich begründen. Mit Fundstellen aus Kommentaren oder Verweisen auf in vergleichbaren Fällen ergangene höchstrichterliche Urteile, und dabei immer Bezüge zum gestellten Antrag und zur Relevanz für das Verfahren herstellen. Und so trägt er mit monotoner Stimmer Seite für Seite vor. Nach dem ersten vorgetragenen Beschluss will Wohlleben-Verteidiger Olaf Klemke sofort das Wort, aber Götzl lässt sich nicht beirren. "Wir verkünden noch einen Beschluss, ich bitte Sie, sich noch etwas zu gedulden, Sie erleiden keinen Rechtsverlust", sagt Götzl und trägt den nächsten vor.

Götzl wirft Verteidigung Prozessverschleppung vor

Sein Senat lehnt die Ladung von Sven R. ab, in der Begründung liest Götzl der Verteidigung von Wohlleben ordentlich die Leviten. Bereits im September 2014 hätte man den Antrag genauso stellen können. Wenn das erst jetzt geschehe, also lange nach dem das Gericht eine letzte Frist für die Stellung von Beweisanträgen gesetzt hatte, diene das nur der Prozessverschleppung. Zudem habe die umfangreiche Beweiserhebung ergeben, dass die Tatwaffe wie von der Bundesanwaltschaft angeklagt aus der Schweiz beschafft worden sei. Die von der Verteidigung vorgetragenen Argumente würden das nicht in Zweifel ziehen können. Das Gericht macht damit ganz nebenbei klar, mit welcher Strafe Ralf Wohlleben rechnen muss: mit einer Verurteilung wegen Beihilfe zum Mord in neun Fällen.

Götzl redet sich heiser

Sein Verteidiger Olaf Klemke will natürlich sofort erwidern, aber Götzl ist schon beim nächsten Beschluss. Das Gericht lehnt auch das ab, was am Vormittag überhaupt erst beantragt worden war, die Beiziehung der Akten aus Stuttgart. Und, ohne dass Klemke dazwischen kann, stellt der Staatsschutzsenat  auch noch fest, dass er die Rechtsanwälte Wolfgang Heer, Wolfgang Stahl und Anja Sturm entgegen ihrem Antrag nicht von ihrem Mandat als Pflichtverteidiger von Beate Zschäpe entbindet. Manfred Götzl redet zu diesem Zeitpunkt schon über eine Stunde, seine Stimme ist heiser und manchmal brüchig, aber der 64-Jährige zieht das durch. Denn er weiß wohl, was jetzt kommt: Ein Befangenheitsantrag.

Klemke kann so nur ein Ablehnungsgesuch stellen

Nach der Mittagspause beantragt Verteidiger Klemke eine Unterbrechung bis morgen um 11.30 Uhr, um einen "Ablehnungsantrag gegen den gesamten Senat" vorbereiten zu können. Das wird den Fortgang des NSU-Prozess weiter verzögern. Aber, dank des Redemarathons von Götzl, passiert das nur einmal. Hätte er bereits nach dem ersten Beschluss Klemke das Wort erteilt, hätte der vermutlich sofort das Ablehnungsgesuch gestellt. Die weiteren Beschlüsse wären gar nicht mehr zur Verlesung gekommen. Und die Wohlleben-Verteidiger hätten in der nächsten oder übernächsten Woche erneut Gelegenheit gehabt, einen weiteren Befangenheitsantrag hinterherzuschieben. Zumindest das hat Manfred Götzl mit seinem stimmlichen Einsatz bis an die Grenzen der Heiserkeit heute verhindert.


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