NSU-Prozess


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411. Verhandlungstag, 8.2.2018 Hinterbliebene wollen keinen Schlussstrich

Die Nebenkläger beenden ihre Plädoyers mit einem kämpferischen Schlusswort von Yvonne Boulgarides, der Witwe des 2005 ermordeten Theodoros Boulgarides und deren Anwalt. Für sie bleiben wichtige Fragen offen. Aber Boulgarides erkennt die Reue von Carsten S. an. Mit ihm hat sie sich außerhalb des Prozesses getroffen.

Stand: 08.02.2018 | Archiv

Ina Krauß | Bild: BR/Julia Müller

08 Februar

Donnerstag, 08. Februar 2018

"Dieses Zusammenkommen war einer der schwierigsten aber auch einer der emotionalsten Momente in unserem Leben."

Yvonne Boulgarides

Berichtet die Ehefrau eines der NSU-Opfer in ihrem Schlusswort. Das Treffen mit Carsten S. kam auf ihren Wunsch zustande und fand außerhalb des Gerichts an einem geheimen Ort statt. Der mutmaßliche Waffenlieferant des NSU ist wegen Beihilfe zum Mord angeklagt. Er ist der einzige Angeklagte, der umfassend ausgesagt und im Prozess Reue gezeigt hat. Er befindet sich im Zeugenschutzprogramm.

"Herrn S. haben wir in diesem Gespräch als einen Menschen erlebt, der sein Mitwirken zu tiefst bereute und dem das eigene Gewissen bereits den größten Teil seiner Strafe auferlegt hat. Wir wünschen uns, dass ihm sein Strafmaß die Möglichkeit gibt, sein Leben in positivere Bahnen zu lenken."

Yvonne Boulgarides

Die Frau des ermordeten Theodoros Boulgarides spricht in ihrem Plädoyer auch im Namen ihrer beiden Töchter. Dennoch bringt der Prozess für sie und ihre Familie keinen Rechtsfrieden. Viele Antworten sei der Prozess schuldig geblieben. Warum so viele Ermittler als Zeugen einen "epedemie-artigen Gedächtnisverlust" erlitten hätten und warum trotz laufender Ermittlungen tausende Seiten Akten vernichtet wurden. Es wäre die Aufgabe der entsprechenden Staatsorgane gewesen, der Wahrheitsfindung zu dienen, so Boulgarides, "Leider muss ich an dieser Stelle von einem kompletten Organversagen sprechen", lautet ihr bitteres Fazit.

Ernsthafte Reue vermisst ihr Anwalt Yavuz Narin vor allem bei vielen Zeugen, die im Prozess gehört wurden. Viele hätten sich vor ihrer Verantwortung weggeduckt. „Menschen ohne Rückgrat, Feiglinge und Schreibtischtäter. Rädchen im Getriebe einer beispiellosen Mordserie, die ihrerseits auf kleingeistigem und ewig gestrigem Gedankengut von selbsternannten Opfern beruht, die sich ernsthaft einbilden, für den Erhalt der „deutschen Nation“ relevant zu sein.“

Früher Verdacht

Narin hatte bereits Monate vor der Selbstenttarnung des NSU einen Zusammenhang zwischen der Ceska-Mordserie an neun Migranten und dem Nagelbombenanschlag in Köln hergestellt und die Täter in rechtsradikalen Kreisen vermutet. In ihrem Schlusswort berichtete Yvonne Boulgarides, wie ein Ermittler der Soko „Theo“ sie nach Feierabend aufgesucht und ihr empfohlen habe, sich von ihrem Anwalt zu trennen. Sie tat es nicht und wenige Monate später, am 4. November 2011, hatte sich der Verdacht ihres Anwalts bestätigt. Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt hatten sich nach einem Banküberfall in Eisenach erschossen und Beate Zschäpe steckte die gemeinsame Wohnung in Zwickau in Brand. Der NSU bekannte sich auf einem zynischen Video zu seinen Taten.

Yvonne Boulgarides brach in Tränen aus, als sie darüber sprach, dass ihr Mann Theo gerne das Aufwachsen seiner Töchter und die Geburt der Enkelin erlebt hätte. Die Zeit lasse sich nicht zurückdrehen aber eines könne sie tun:

"Nicht aufhören zu fragen."

Yvonne Boulgarides

Zeitplan abgesprochen

Mit den letzten Schlussvorträgen der Nebenkläger rückt ein Ende des NSU-Prozesses näher. Der Vorsitzende Richter Manfred Götzl klärte mit den Verteidigern das weitere Vorgehen ab. Am 20. Februar wird weiter verhandelt, es steht noch eine Entscheidung des Gericht zur Abtrennung eines Verfahrens aus. Dann soll die Hauptverhandlung für mehrere Wochen unterbrochen werden um den Verteidigern Gelegenheit zur Vorbereitung ihrer Plädoyers zu geben. Am 13. März sollen Matthias Grasel und Hermann Borchert, die Verteidiger von Beate Zschäpe, plädieren. Nach einer weiteren Pause sind Zschäpes sogenannte Altverteidiger Wolfgang Heer, Wolfgang Stahl und Anja Sturm an der Reihe. Das wäre dann am 20. März -  wenn nichts dazwischenkommt.


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