NSU-Prozess


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410. Verhandlungstag, 7.2.2018 Ein Alptraum und die schmerzhafte Suche nach der dunklen Seite

Habil Kilics wurde im August 2001 in München in seinem Geschäft mutmaßlich vom NSU ermordet. Seine Tochter ist Nebenklägerin im NSU-Prozess. Ihre Anwältin beschrieb heute in ihrem Plädoyer eindringlich die schrecklichen Spuren die das rechtsextremistische Verbrechen bei Kilics Frau und Tochter hinterließ.

Von: Eva Frisch

Stand: 07.02.2018 | Archiv

Eva Frisch | Bild: Bayerischer Rundfunk

07 Februar

Mittwoch, 07. Februar 2018

Der Beginn von Verhandlungstag 410 ist ziemlich trocken. Wie so oft in letzter Zeit geht es um Anträge und deren Ablehnung, juristische Querverweise und endlose Begründungen. Prozessuales Graubrot also. Bis zum Mittag. Danach wird es ganz überraschend heute noch mal hoch emotional. Und beklemmend zugleich. Denn wir hören ganz konkret wie grausam und menschenverachtend die angeklagten Taten waren. Was die Familien der Mordopfer durchleiden mussten.

Verdächtigungen statt Antworten

Barbara Kaniuka ergreift am frühen Nachmittag das Wort. Sie ist die Anwältin von Habil Kilics Tochter, der im August 2001 in München in seinem Geschäft mutmaßlich vom NSU ermordet wurde. In ihrem Plädoyer beschreibt sie die schrecklichen Spuren die das rechtsextremistische Verbrechen bei Kilics Frau und Tochter hinterließ. Die Tochter ist erst 12 Jahre alt, als der Vater aus ihrem Leben gerissen wird. Erschossen in seinem Geschäft, eigentlich ein Ort der Sicherheit für die Familie. Warum der Vater? Es gibt keine Antwort. Stattdessen, so Rechtsanwältin Kaniuka, nur Verdächtigungen. Denn die Ermittler suchen krampfhaft nach der vermeintlich dunklen Seite des Ermordeten: Drogen, Prostitution, illegales Glücksspiel. Sie suchen und suchen und finden nichts. Nur einen unauffälligen Familienvater. Auf ein rechtsextremistisches Motiv seien die Ermittler nicht gekommen. Aber so Barbara Kaniuka, „Habil Kilic wurde erschossen weil er Türke war“.

Angst vor den Tätern

NSU-Opfer Nummer vier Habil Kilic und seine Familie – plötzlich sind sie wieder ganz präsent für alle im Saal: die Tochter, die die Bilder vom blutverschmierten Tatort nicht aus dem Kopf bekommt und deren unbeschwerte Kindheit vorbei ist. Die erleben muss, wie es in der Schule heißt, dass ihr Vater bei der Mafia gewesen sei. Freunde gegen auf Distanz, die Familie wird Mörderfamilie oder Drogenbande genannt. Dabei ist der geliebte Vater tot. Und dann bleibt da die Angst, die Täter könnten wiederkommen.

Der Stoff aus dem Alpträume sind, sagt Anwältin Kaniuka. Jahrelang hatten sie keine Hoffnung, dass die Täter noch gefasst werden. Bis zum Auffliegen des NSU-Trios 2011. Zum Schluss ihres Plädoyers wendet sich Barbara Kaniuka direkt an Beate Zschäpe: „Trotz des Leids, das sie der Familie angetan haben. Sie können Frau Kilic nicht vertreiben. Sie gehört hierher und bleibt hier.“ Eindrückliche Worte, die vom 410. Verhandlungstag bleiben werden.


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