NSU-Prozess


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389. Verhandlungstag, 21.11.2017 Die Sicht der Angehörigen

Im NSU-Prozess hat im Rahmen der Plädoyers der Nebenklage erstmals die Angehörige eines Opfers persönlich das Wort ergriffen. Elif Kubasik, die Witwe des im April 2006 in Dortmund ermordeten Mehmet Kubasik, wandte sich dabei auch direkt an die Hauptangeklagte Beate Zschäpe. Deren Aussage sei "besonders ekelhaft" gewesen.

Von: Christoph Arnowski

Stand: 21.11.2017 | Archiv

Christoph Arnowski | Bild: Bayerischer Rundfunk

21 November

Dienstag, 21. November 2017

Elif Kubasik hat den Tod ihres geliebten Mannes nicht verwunden. "Mein Herz ist mit Mehmet begraben", sagt sie. Sie spricht auf Türkisch, mit fester Stimme. Ein Dolmetscher übersetzt Satz für Satz. "Heute ist es nicht leicht für mich, diese Leute zu sehen", schildert sie ihre Gefühle im Gerichtssaal. Jedes Mal, wenn sie den Prozess besucht habe, sei sie danach krank gewesen. Dann kommt sie auf die Einlassung von Beate Zschäpe zu sprechen und ihre Entschuldigung. Die Art, wie sie das getan hat, sei beleidigend gewesen, "ich hatte das Gefühl, sie macht sich lustig über mich". Aber auch dem Gericht macht sie Vorwürfe und spricht die Fragen an, die Prozess nicht geklärt habe: Warum ihr Mann? Gab es Helfer in Dortmund? Was wusste der Staat? "Frau Merkel hat ihr Versprechen nicht gehalten", sagt die Witwe in Anspielung auf die Zusage der Kanzlerin, die 2012 erklärte, Deutschland werde alles unternehmen, die Verbrechen des NSU restlos aufzuklären. Und noch eines betont sie: Das Kalkül des NSU, durch die Morde die Ausländer aus Deutschland zu vertreiben, sei nicht aufgegangen: "Ich lebe in diesem Land und ich gehöre hierher."

Wie konnte die Polizei so versagen?

Das sind Sätze, die wachrütteln. Genauso wie die Schilderung ihres Anwaltes Carsten Ilius, der im Anschluss daran minutiös aufzählt, wie sehr die Familie des Ermordeten unter den polizeilichen Ermittlungen gelitten habe. Dass die Polizei jahrelang bei der Ceska-Mordserie ein rassistisches Tatmotiv ausschloss und stattdessen den Ermittlungsansatz verfolgte, die Opfer hätten durch kriminelles Verhalten als angebliche Drogendealer oder Aktivisten der PKK selbst ihre Ermordung provoziert, ist schon ungezählte Male im und am Rande des Prozesses angesprochen worden. Wenn es aber so systematisch und umfassend geschieht, wie es Anwalt Ilius in seinem Schlussvortrag aufrollt, entfaltet dies eine ganz besondere Wirkung. Die Verdächtigungen des Opfers und seiner Familie ohne jeden konkreten Anhaltspunkt, sondern nur aus der polizeilichen Deutungsgewohnheit, weil es sich um eine türkische Familie handelte, macht betroffen. Zumal es von Anfang an eine Zeugin gab, die zwei Männer am Tatort als "Junkies oder Neonazis" beschrieb. Doch die Ermittler gingen dieser Spur nicht nach, strichen aus den Akten das Wort "Neonazis" und verfolgten weiter ihren Ansatz, bei dieser so brutalen Tat könne es sich doch nur um einen Ehrenmord oder ein Verbrechen im Bereich der organisierten Kriminalität gehandelt haben.

Spielte die Fußball-WM eine Rolle?

Der Nebenklageanwalt erklärt diese eigentlich nicht nachzuvollziehende Vorfestlegung auf mögliche Täter und Motive sowie den kategorischen Ausschluss einer ausländerfeindlichen Tat mit dem "institutionellen Rassismus", der in Deutschland herrsche. Dass er gerade 2006 die Ermittlungen so fehlgelenkt hat, mag aber, auch darauf weist Ilius hin, einen ebenso banalen wie zugleich erschreckenden Grund haben. In diesem Sommer war Deutschland Gastgeber der Fussball-Weltmeisterschaft. Nachrichten über eine ausländerfeindliche Mordserie hätten dem Bild eines sicheren, weltoffenen Landes geschadet.

Institutioneller Rassismus prägte die Ermittlungen

Dass die polizeilichen Fehlleistungen in Dortmund 2006 kein  Einzelfall sind, hatte bereits am Vormittag Mehmet Daimagüler herausgearbeitet. Der Anwalt vertritt die Familien von zwei NSU-Mordopfern in Nürnberg. Die Angehörigen des 2001 ermordeten Abdurrahim Özüdogru und von Ismail Yasar, den der NSU 2005 erschoss. Beide Familien erlebten, wie Elif Kubasik und deren Kinder die gleichen haltlosen und erniedrigenden Verdächtigungen und Ermittlungsmethoden der Polizei.

Was darf ein Nebenklage-Plädoyer?

Nicht nur wegen dieser eindrücklichen Schilderungen dieses Komplettversagen der Ermittler wird mir dieser 389. Verhandlungstag besonders in Erinnerung bleiben. Sondern auch wegen des weiter  erbittert geführten Streits zwischen Verteidigern und Nebenklägern über das, was die Opferanwälte in ihren Schlussvorträgen ansprechen dürfen und was nicht. Die Pflichtverteidiger von Beate Zschäpe sehen gerade in den Ausführungen zum institutionellen Rassismus allgemeine "politische Reden", die im Strafprozess keinen Platz hätten. Dieser Ansicht schliesst sich auch die Verteidigung von Ralf Wohlleben an, obwohl heute ihr Mandant direkt noch gar nicht betroffen war. Rechtsanwältin Nicole Schneiders begründet dies mit den zu erwartenden Plädoyers. "Wehret den Anfängen!", sagt sie. Was Nebenklageanwalt Alexander Hoffmann erbost. "Ausgerecht diesen Satz 'Wehret den Anfängen!' von einer ehemaligen aktiven Neonazistin zu hören, ist eine Unverschämtheit." Schneiders verlangt daraufhin eine Protokollierung, weil damit ein Straftatbestand, nämlich der der Beleidigung, erfüllt sei.

Bundesanwalt gerät zwischen die Fronten

Bundesanwalt Jochen Weingarten Versuch, den Streit zu schlichten, geht daneben. Seinen Apell an Hoffmann, den möglicherweise beleidigenden Ausdruck "Neonazistin" durch eine weniger angreifbare Umschreibung des gemeinten Sachverhalts zu ersetzen, wertet Schneiders als unerlaubte Rechtsberatung. In einem Antrag fordert sie das Gericht dazu auf, beim Generalbundesanwalt auf eine Ablösung von Oberstaatsanwalt Weingarten zu drängen. Der verwende den Jargon der Antifa und ergreife Partei für die Nebenklage, sagt die Juristin, die laut übereinstimmenden Berichten einer Vielzahl unterschiedlichsten Medien NPD-Mitglied war und in die Neonaziszene tief verstrickt gewesen sei. Morgen wird ihr Antrag zu einer weiteren Verzögerung bei den Schlussvorträgen der Nebenkläger führen.


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