NSU-Prozess


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388. Verhandlungstag, 16.11.2017 Nebenkläger-Plädoyers werden laufend unterbrochen

Gestern hatte es noch so ausgesehen, als käme jetzt wieder Schwung in den NSU-Prozess. Nach zweimonatiger Verzögerung hatten die Plädoyers der Nebenklage begonnen. Die Anwälte der Opferfamilien wollen in ihren Schlussvorträgen ihre Sicht schildern. Doch heute stockte das Verfahren erneut.

Von: Eckhart Querner

Stand: 16.11.2017 | Archiv

Eckhart Querner | Bild: BR

16 November

Donnerstag, 16. November 2017

Nebenklage-Anwalt Mehmet Daimagüler sprach erst wenige Minuten, als ihn der Zschäpe-Verteidiger Wolfgang Heer unterbrach: Daimagülers Plädoyer sei in weiten Teilen eine politische Rede, weitschweifig, unnütz und missbräuchlich. Ein harscher Vorwurf, der erneut für stundenlange Verzögerungen im NSU-Prozess sorgte.

Gezielte Störmanöver?

Daimagüler sah darin ein Störmanöver der Verteidiger. Unterstützung erhielt er gleich von mehreren Seiten. Kollege Sebastian Scharmer warf Heer vor, er überziehe das Beanstandungsrecht. Der Vertreter der Bundesanwaltschaft sprach von einem Rechtsmissbrauch durch die Zschäpe-Verteidiger und erklärte, die Ausführungen Daimagülers befänden sich „im Bereich des Erlaubten.“ Allgemein herrschte die Einschätzung vor, es gebe keine rechtlichen Grundlagen für solche Unterbrechungen.

Doch Heer, sekundiert von seinen beiden Kollegen Stahl und Sturm, zeigte sich wenig beeindruckt. Er drohte sogar: "Wenn sich das fortsetzt, werde ich auch weiterhin von meinem Beanstandungsrecht Gebrauch machen."

Unliebsame Plädoyers

Welche Strategie die Altverteidiger der Hauptangeklagten Zschäpe damit verfolgen, ist nicht ganz klar. Beanstanden sie in Unkenntnis dessen, was im Plädoyer vom Gesetz erlaubt ist? Das wäre kaum zu glauben. Plausibler erscheint eine gezielte Strategie: nämlich den Vortrag eines Nebenklage-Anwalts systematisch zu stören. Wird ein unliebsames Plädoyer häufig unterbrochen, kann sich dessen Wirkung möglicherweise nicht optimal entfalten. Vertreter der Nebenklage sind überzeugt, dass Heer-Stahl-Sturm erreichen wollen, dass die Schlussreden der Opferseite in ihrer Intensität gestört werden.

Zschäpe wirkte in diesem Hin und Her der Argumente und Vorwürfe wie teilnahmslos. Dass sie nichts übrig hat für die Beanstandungen der Altverteidiger, denen sie vor zwei Jahren das Vertrauen entzog, darüber kann man allerdings nur spekulieren.  

Den Ball flach halten

Das Gericht reagierte  möglichst unaufgeregt und sachlich, nahm die stundenlangen Verzögerungen in Kauf. Schließlich entschied der 6. Strafsenat am Münchner Oberlandesgericht, dass Daimagüler mit seinem Plädoyer fortsetzen solle. Der Vorsitzende Richter Manfred Götzl machte auch mit beschwichtigenden Handbewegungen deutlich, die Nebenklage solle sich nicht über Heer und Kollegen aufregen.

"Die Stimme der Opfer lässt sich nicht zum Schweigen bringen!"

Daimagülers warf den Ermittlungsbehörden institutionellen Rassismus vor. Über elf Jahre habe niemand in Richtung Rechtsextremismus ermittelt, niemand habe die Motive für die Morde im Rassismus neonazistischer Täter gesucht. Für den Anwalt geht es um die Stimme der Opfer: "Diese Stimme lässt sich nicht zum Schweigen bringen. Weder im Gerichtssaal noch außerhalb des Prozesses."

Nächste Woche will Mehmet Daimagüler sein Plädoyer beenden. Dann wollen auch wieder Opferangehörige anreisen. Mindestens eine von ihnen, Gamze Kubasik, Tochter des im Jahr 2006 in Dortmund ermordeten Kioskbesitzers Mehmet Kubasik, will sich dann auch persönlich zu Wort melden. Wenn es nicht wieder zu Unterbrechungen kommt.


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