NSU-Prozess


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376. Verhandlungstag, 19.7.2017 Noch immer keine Plädoyers

Die Besuchertribüne des Verhandlungssaals 101 des Münchener Oberlandesgerichts war heute bis auf den letzten Platz besetzt. Eigentlich war der Beginn der Plädoyers geplant. Die Ankläger sollten das Wort erhalten. Doch dazu kam es nicht.

Von: Mira Barthelmann

Stand: 19.07.2017 | Archiv

Mira Barthelmann | Bild: BR

19 Juli

Mittwoch, 19. Juli 2017

Was gestern noch als recht harmloser Wunsch der Anklage erschien, wuchs sich heute zu einem mittelgroßen, juristischen Problem aus. Es geht um die Frage, ob die Schlussvorträge der Bundesanwaltschaft auf Tonband aufgezeichnet oder von einem Stenografen mitnotiert werden dürfen. In Strafverfahren gilt eigentlich der Mündlichkeitsgrundsatz. Sollten die Richter diesen brechen – gerade weil der NSU-Prozess ein so außergewöhnliches Verfahren mit ohnehin außergewöhnlichen Rahmenbedingungen ist?

22 Stunden für Darstellung der Tatvorwürfe

Rund 22 Stunden, so es haben die Vertreter der höchsten, deutschen Anklagebehörde hochgerechnet, dauert es, bis sie ihre Einschätzung zu den erhobenen Tatvorwürfen wie Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung oder Mittäterschaft in zehn Mordfällen umfassend dargelegt haben. 22 Stunden. Puh. Was bleibt da hängen?

Wir Journalisten, die den Prozess seit über vier Jahren begleiten, können bestätigen, dass nach einer Stunde, spätestens nach eineinhalb, die Kapazitäten, am Computer wortwörtlich zu protokollieren, erheblich nachlassen. Auch kürzere Pausen fördern die Erholung dann oft nicht mehr ausreichend. Deshalb sind wir oft darauf angewiesen, unsere Mitschriften abzugleichen, zu ergänzen, nachzufragen.

Doch bei den Angeklagten geht es um wesentlich mehr als um einen fehlenden Halbsatz. Sie sollten vollumfänglich verstehen, was ihre Ankläger ihnen nach mehr als 370 Tagen Beweiserhebung konkret vorwerfen. Sie müssen sich auf ihre letzte Gelegenheit, das Wort zu erheben, vorbereiten können. Sie haben das Recht auf eine angemessene Verteidigung. Ein Tonbandmitschnitt oder ein professionell angefertigtes Protokoll wären die Basis dafür, die 22 bevorstehenden Stunden an Vorwürfen im Zusammenhang nachzuvollziehen.

Tonbandmitschnitte bei Schlussvorträgen gestatten - oder nicht?

Die Bundesanwälte fürchten allerdings, dass Tonbandmitschnitte anschließend – gekürzt oder aus dem Zusammenhang gerissen – in der Öffentlichkeit kursieren könnten. Sie fürchten, dass "peinliche Versprecher" sie der Lächerlichkeit preisgeben könnten. Deshalb sehen sie ihre Persönlichkeitsrechte beschnitten.

Eine schwierige Güterabwägung für die Richter. Denn Tonbandaufzeichnungen beziehungsweise professionelle Mitschriften sind zwar nicht verboten, wären aber ein Novum bei einem Strafprozess. Doch eines will der Senat sicher nicht: Einen Grund für eine Revision liefern. Deshalb nehmen sich Manfred Götzl und sein Team in dieser angespannten Schlussphase Zeit, um über diese gestern noch harmlos erscheinende Frage zu entscheiden. Erst nächste Woche wird weiterverhandelt.


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