NSU-Prozess


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347. Verhandlungstag, 15.2.2017 Juristische Schachzüge mit rechtem Winkel

Die Verteidigung des mutmaßlichen NSU-Waffenbeschaffers Ralph Wohlleben will den Prozess für Nazi-Propaganda nützen. Doch das Oberlandesgericht hat dem heute einmal mehr einen Riegel vorgeschoben, indem es einen Beweisantrag abgelehnt hat.

Von: Thies Marsen

Stand: 15.02.2017 | Archiv

Verhandlungssaal NSU-Prozess Oberlandesgericht München | Bild: BR/Ernst Eisenbichler

15 Februar

Mittwoch, 15. Februar 2017

Von den fünf Angeklagten im NSU-Prozess machen zwei keinen Hehl daraus, dass sie bis heute überzeugte Rechtsextremisten sind: André E., der gerne einschlägige Klamotten und Tätowierungen zur Schau stellt, und vor allem Ralph Wohlleben.

Mit der rechten Szene gut bekannt

Der hat schon mit der Wahl seiner Advokaten gezeigt, wes Geistes Kind er ist: Allesamt sogenannte Szeneanwälte, eine war mal NPD-Funktionärin, ein anderer Chef der neonazistischen Wiking Jugend, die als Nachfolgeorganisation der Hitler-Jugend verbotenen wurde, und ein weiterer wurde bekannt als Sänger einer Neonaziband, die in ihren Texten Adolf Hitler feiert oder Atomraketen auf Israel fordert.

Der Schleier ist längst gefallen

So gesehen war es fast schon verwunderlich, dass sich die Wohlleben-Verteidigung bislang vergleichsweise gemäßigt zeigte, doch das ist seit einigen Monaten vorbei. Inzwischen agiert man völlig ungeniert. So wollten Wohllebens Anwälte unlängst ganz ernsthaft ein NPD-Bundesvorstandsmitglied  als Zeuge laden lassen, um zu beweisen, dass der einstige Hitler-Stellvertreter Rudolf Hess in seiner Haft im alliierten Kriegsverbrechergefängnis in Spandau ermordet worden sei – eine der vielen Verschwörungstheorien der Neonazi-Szene, die jeglicher Grundlage entbehrt.

Das Gericht lehnte dies ab. Kurz darauf beantragte die Wohlleben-Verteidigung dann, einen Demografie-Experten zu laden, der bekunden solle, das Deutsche Volk sterbe aus – auch das ein Mythos der braunen Szene.

Alte Thesen in neuem Bezug

Heute hat der Strafsenat auch diesen Beweisantrag abgelehnt, mit der Begründung, das Ganze sei für die Urteilsfindung unbedeutend. So beruhigend und erwartbar diese Entscheidung auch ist, so gibt es dennoch zu denken, dass die Wohlleben-Verteidigung offenbar keinerlei Hemmungen mehr hat, offensichtliche Nazi-Propaganda in den Prozess einzubringen. Und höchst bedenklich ist auch, dass solche Verschwörungstheorien außerhalb der Neonaziszene längst wieder Anklang finden.

Dass das deutsche Volk bald den „Volkstod“ erleide, dass eine „Umvolkung“ stattfinde, ein gezielt geplanter „großer Austausch“ der Bevölkerung, solche Thesen werden längst nicht mehr nur von der NPD  verbreitet, sondern auch auf Pegida-Demonstrationen und in AfD-Kreisen. Selbst einzelne CDU-Politikern fabulieren inzwischen davon.

Das veränderte Verhalten der Wohlleben-Verteidigung, die Schamlosigkeit mit der sie inzwischen rechtsextreme Thesen in den Prozess einbringt, könnte man also auch als einen Verweis darauf deuten, dass sich die Verhältnisse auch außerhalb des hermetisch abgeschlossenen Saales A 101 im Münchner Justizgebäude bedenklich nach rechtsaußen verschoben haben.


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