NSU-Prozess


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319. Verhandlungstag, 8.11.2016 Opfer durchkreuzt Wohllebens Verteidigungsstrategie

Die Verteidigung des Angeklagten Ralf Wohlleben will die Glaubwürdigkeit des geständigen Carsten S. erschüttern - und erreicht das Gegenteil. Ein Zeuge schildert vor Gericht, wie er 1998 von einer Gruppe Neonazis in Jena krankenhausreif geschlagen wurde. Nach Aussage von Carsten S. war damals auch Ralf Wohlleben beteiligt.

Von: Ina Krauß

Stand: 08.11.2016 | Archiv

Ina Krauß | Bild: BR/Julia Müller

08 November

Dienstag, 08. November 2016

Martin K. war damals 17 Jahre alt, als er mit einem Freund spät nachts an der Endhaltestelle in Jena-Winzerla stand, um auf dem Nachhauseweg noch eine zu rauchen. Heute erinnert er sich vor Gericht, wie er und sein Freund damals "wie aus dem Nichts" angegriffen wurden. Die Täter: eine Gruppe grölender Neonazis und Skins mit szenetypischen Frisuren, Bomberjacke und Army-Hosen. Der angeklagte Carsten S. war damals unter den Angreifern und belastet auch Wohlleben in dieser Sache.

Wohllebens Widerspruch

Der Zeuge Martin K. kann sich zwar an keinen der Angreifer erinnern, auch nicht an Wohlleben. Dennoch ist seine Aussage brisant, denn sie deckt sich in einem wichtigen Detail mit den Aussagen von Carsen S. In vielen Verhandlungstagen versucht die Verteidigung von Wohlleben nämlich zu beweisen, dass es an der Straßenbahn-Endhaltestelle in Jena-Winzerla außer einer Imbissbude kein Holzhäuschen gab. Carsten S. hatte sich aber erinnert, dass bei der Schlägerei ein Opfer in ein Holzhäuschen gesteckt worden war.

Ein zusammengeschlagener Zeuge

Martin K. hat genau das bestätigt. Er schilderte vor Gericht wie er an jenem 12. Juli 1998 dachte: "Krass, die treten mit Stiefeln auf dich ein". Und am Ende des Überfalls in einem Spielplatz- Holzhäuschen feststeckte. Wie er da reingekommen war, weiß er heute nicht mehr. Nach dem Überfall war seine Nase gebrochen, er hatte in blaues Auge und aufgeschlagene Lippen. Er musste eine Woche lang im Krankenhaus bleiben. Fotos im Gerichtssaal zeigen ein übel zugerichtetes Gesicht. Die Nase um mehrere Zentimeter verschoben.

Der Vorfall wurde damals kaum von der Polizei verfolgt. Nicht einmal Lichtbilder wurden dem Opfer vorgelegt. Der ermittelnde Beamte tat die Sache als Schlägerei ab. Das ärgert Martin K. bis heute. Denn er leidet nach wie vor unter den Folgen dieses Angriffs. Sein Selbstbewusstsein sei seitdem im Keller, sagt er vor Gericht. Auch wenn er sich nicht an Wohlleben erinnern kann, so verleiht seine Aussage von Martin K. den Angaben von Carsten S. neues Gewicht. Die Verteidigung von Wohlleben wollte seine Glaubwürdigkeit erschüttern und hat sie nun eher gestärkt.

Entschuldigung nach Jahren

Carsten S. ergreift am Schluss das Wort. "Guten Tag. Ich wollte Ihnen sagen, dass es mir sehr leid tut, was damals passiert ist. Ich war damals auch mit dabei. Ich bin auch mitgerannt und dafür wollte ich mich bei Ihnen entschuldigen." Die Stimme von Carsten S. klingt heiser. Der Vorsitzende Richter stellt ein paar weitere Fragen an den Zeugen. Martin K. sieht wohl nicht, dass Carsten S. nach diesen Worten weint.


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