NSU-Prozess


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301. Verhandlungstag, 21.7.2016 Die Hoffnung schwindet

Zwei frühere Mitglieder der Thüringer Neonazi-Szene der 1990er Jahre, zu der auch das NSU-Trio gehörte, haben heute erneut die damalige Gewaltbereitschaft bestätigt. Neue Erkenntnisse lieferten sie jedoch nicht - und es schwindet weiter die Hoffnung auf Szenezeugen, die dem Prozess weiterhelfen.

Von: Mira Barthelmann

Stand: 21.07.2016 | Archiv

Mira Barthelmann | Bild: BR

21 Juli

Donnerstag, 21. Juli 2016

Jena, Ende der 1990er Jahre. Die Straßenbahnendhaltestelle Winzerla. Ein trostloser Fleck. Zwischen den Schienen: Beton und eine kleine Grasfläche. Es gibt einen kleinen Holzverschlag mit einem Imbiss. Etwa 100 Meter entfernt befindet sich der "Winzer-Club" - damals der Treff der rechtsradikalen Szene. Musikbands mit entsprechender Gesinnung geben sich dort die Klinke in die Hand. Und wer nicht ins Bild passt, wird verdroschen.

Die beiden Zeugen sind im NSU-Prozess geladen, um das Gericht über eine Schlägerei an jener Haltestelle ins Bild zu setzen. Sie müssen keine strafrechtliche Verfolgung fürchten. Ihre Beteiligung an einer Gewalttat wäre längst verjährt. Doch beide können oder wollen sich nach all den Jahren nur noch fragmentarisch erinnern. Wie so oft bei den sogenannten Szene-Zeugen.

Ein gutes Gedächtnis, das aber nicht immer funktioniert

Christian M., der früher Christian K. hieß, ist der Bruder von André K. Der war wiederum einer der Hauptakteure des militanten Kameradschaftsnetzwerks "Thüringer Heimatschutz". Christian M. ist heute laut seiner Homepage "Spezialist für Webdesign, E-Commerce, Social-Media und Coaching". Und er sagt von sich, dass er im Allgemeinen ein sehr gutes Gedächtnis hat. Eigentlich eine sehr gute Voraussetzung für eine Zeugenaussage vor Gericht - sollte man meinen. Doch als es um konkrete Erinnerungen geht, wird es sehr dünn. Zunächst kann er sich an keine einzige Schlägerei erinnern, an der der Angeklagte Ralf Wohlleben beteiligt war. Auf Nachfrage des Vorsitzenden Richters Manfred Götzl habe er - gemeinsam mit André K. und dem Angeklagten Carsten S. - dann aber doch zwei Frauen überfallen, um an deren Dokumente zu kommen. Diese Eingebung auf Nachfrage - die Wohlleben-Verteidigung schließt daraus, dass der Zeuge unglaubwürdig ist.

"Es war ja bekannt, dass der NSU auf der Flucht war"

Auch der Zeuge Sven K. hieß nicht immer so. Sein früherer Name: Sven B. Als Beruf gibt er "freiberuflicher Musiker" an. Auch um die Jahrtausendwende hat er bereits Musik gemacht. Rechte Musik. Er nutzte damals den Probenraum im "Winzer-Club". Und er wohnte im selben Haus wie Wohlleben. Carsten S. war ein Nachbar. An die Schlägerei an der Straßenbahnhaltestelle vor rund 15 Jahren kann er sich nicht mehr konkret erinnern.

"Ich war jung. Ich war verwirrt. Ich hatte viele Aggressionen, sicherlich kam es da auch zu Konflikten."

Sven K.

Der Richter fragt nach, wie das gemeint sei. Die Antwort kommt prompt:

"Es gab keine gesunde Streitkultur, in jedem wohl sehr hohes aggressives Potenzial."

Sven K.

Sven K. gibt an, damals viele Drogen konsumiert zu haben. Entsprechend lückenhaft sind seine Erinnerungen. Er kann weder bestätigen, noch bestreitet er, dass er Schmiere stand, als Carsten S. bei Beate Zschäpe in die Wohnung eingestiegen ist. Der Zeuge rudert mit seinen Armen. Das mutmaßliche NSU-Trio will er aber nur "Vom-Hören-Sagen" gekannt haben. Thema waren die Drei aber schon:

"Jeder hat darüber gesprochen. Es war ja bekannt, dass die (…) auf der Flucht waren. Das ging schon durch die rechte Szene."

Sven K.

Leider ist diese Aussage keine neue Erkenntnis. Beide Zeugen präsentierten sich zwar willig, doch so richtig auspacken wollten oder konnten sie nicht. Und die Hoffnung, solche Zeuge vor dem Ende der Beweisaufnahme noch zu finden, schwindet von Prozesstag zu Prozesstag.


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