NSU-Prozess


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300. Verhandlungstag, 20.7.2016 War Marcel D. ein Spitzel?

War der Neonazi Marcel D. ein Spitzel des Thüringer Verfassungsschutzes oder nicht? Das war eines der Themen am 300. Verhandlungstag beim Münchner NSU-Prozess. An dem gab es auch noch eine unerwartete Premiere: Einigkeit aller Prozessbeteiligten.

Von: Thies Marsen

Stand: 20.07.2016 | Archiv

Marcel D. im Gericht  | Bild: picture-alliance/dpa

20 Juli

Mittwoch, 20. Juli 2016

Lag es am runden Jubiläum? Schließlich beging das Oberlandesgericht in München heute den 300. Verhandlungstag im NSU-Prozess. Oder lag es einfach daran, dass derzeit unzählige Münchner Bildungseinrichtungen zum Schuljahresende ihre Schülerinnern und Schüler ins Justizzentrum an der Nymphenburger Straße schicken, um dort erst lange Schlangen vor dem Eingang zu bilden und anschließend die Zuschauerbänke in den Verhandlungssälen zu füllen? Jedenfalls war auch der Zuschauerbereich im Saal A101 heute ziemlich voll besetzt, vor allem mit jungen Leuten.

Vorträge über das Strafprozessrecht

Und die bekamen einiges geboten: Vor allem ein neues Kapitel im skurrilen Schauspiel um den Neonazi Marcel D., der kein Spitzel des Thüringer Verfassungsschutzes gewesen sein will, obwohl der Thüringer Verfassungsschutz genau das behauptet. Weil der Zeuge und sein Zeugenbeistand sich äußerst dilettantisch anstellten, bekamen die Zuschauer dann auch noch mehrerer Vorträge über das Strafprozessrecht im Allgemeinen und das Aussageverweigerungsrecht im Besonderen geboten. Und etwas, dass es im NSU-Prozess in 300 Tagen so auch noch nicht gegeben hat: Sämtliche Prozessbeteiligte – von der Verteidigung über die Nebenkläger bis zur Bundesanwaltschaft, ja sogar bis hin zum Senatsvorsitzenden – waren sich einig, und zwar darin, dass der Zeugenbeistand seinen Mandanten äußerst schlecht beraten hat, ja dass er ihn sogar direkt ins Messer laufen lasse, vulgo: in die Verurteilung wegen Falschaussage.

Die Ausführungen waren zwar für Nichtjuristen teils völlig unverständlich, aber so mancher Prozessbeteiligte im NSU-Verfahren versteht es ja, sich zu inszenieren und seine Belange mit entsprechender Verve vorzutragen, so dass allein schon die Darbietung dafür entschädigt, dass man vom eigentlichen Inhalt nicht allzu viel kapiert.

Musikgeschmack von Wohlleben

So gesehen, bekamen die jungen Leute auf der Zuschauerbank einen unterhaltsamen Einblick in die Welt der Justiz und ein bisschen auch in die mangelhafte Intelligenz so manch führender Exponenten der bundesdeutschen Neonaziszene. Außerdem – dank eines Beweisantrages der Nebenklage – einen Überblick über den Musikgeschmack des Angeklagten Wohlleben („Ich höre nur gute deutsche Musik. HipHop kotzt mich an“).

Und dann war der 300. Verhandlungstag auch noch höchst schülerfreundlich und freibadkompatibel pünktlich um 12 Uhr vorbei.  Wie gesagt: Die jungen Besucher dürften auf ihre  Kosten gekommen sein.


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