NSU-Prozess


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298. Verhandlungstag, 14.7.2016 Wohlleben-Verteidigung rechnet offenbar mit Verurteilung

Lange war die Verteidigung von Ralf Wohlleben zuversichtlich: Trotz des Geständnisses des Mitangeklagten Carsten S. werde das Gericht nicht beweisen können, dass ihr Mandant Beihilfe zu den NSU-Morden geleistet habe. Daran scheinen die Anwälte inzwischen selbst nicht mehr zu glauben.

Von: Christoph Arnowski

Stand: 14.07.2016 | Archiv

Ralf Wohlleben und seine Anwältin Nicole Schneiders | Bild: pa/dpa/Tobias Hase

14 Juli

Donnerstag, 14. Juli 2016

Erst im  April haben viele Nebenklageanwälte Aufklärung über die Rolle des ehemaligen V-Mannes Ralf Marschner (Deckname "Primus") verlangt. In einem Film der ARD hatten zuvor Zeugen berichtet, der Bauunternehmer habe Uwe Mundlos nach dem Untertauchen des NSU-Trios über längere Zeit in seiner Firma beschäftigt. Die Nebenklage erhoffte sich Belege für ihre These, dass der NSU von einem breiten Neonazi-Netzwerk unterstützt wurde - und nicht, wie von der Bundesanwaltschaft dargestellt, eine abgeschlossen agierende Terrortruppe war, die lediglich aus den drei Personen Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe bestand. Doch das Gericht lehnte Anfang Mai alle entsprechende Anträge ab. Sie dienten nicht der Sachaufklärung und seien für die Wahrheitsfindung nicht notwendig.

Letzte Hoffnung "Primus"

Die Verteidigung von Wohlleben hat heute trotzdem weitere Aufklärung über "Primus" gefordert - wenn auch mit ganz anderer Motivation. Sie will beweisen, dass es nicht ihr Mandant war, der den Mitangeklagten Carsten S. mit der Beschaffung der bei neun NSU-Morden verwendeten Ceska-Pistole beauftragt hat. Carsten S. hatte gleich zu Beginn des NSU-Prozesses im Mai 2013 diesen Anklagepunkt in seinem Geständnis bestätigt.

Wohlleben droht langjährige Haftstrafe

Bisher ist es den Verteidigern von Wohlleben nicht gelungen, diesen Vorwurf auch nur im Geringsten zu entkräften. Im Gegenteil: Sogar der Bundesgerichtshof hat im Zuge einer Haftbeschwerde entschieden, dass gegen den früheren NPD-Vize in Thüringen weiter ein dringender Tatverdacht besteht. Im Klartext: der BGH erachtet eine Verurteilung nach dem bisherigen Prozessverlauf als sehr wahrscheinlich.

Auch Wohlleben-Verteidiger rechnen offenbar mit Verurteilung

Kann also der neuerliche Beweisantrag zu "Primus" Wohlleben vor einer langen Haftstrafe bewahren? Daran scheinen selbst seine Anwälte nicht mehr zu glauben. Schließlich hat ja Richter Manfred Götzl ähnliche Vorstöße der Nebenklage allesamt als unerheblich abgeschmettert. Und so haben die Verteidiger heute noch einen Antrag gestellt. Der soll beweisen, dass die Verfassungsschutzbehörden gezielt verhindert hätten, das untergetauchte NSU-Trio zu verhaften. Doch anders als den Opferanwälten, die auch in diesem Punkt immer wieder nachhakten, geht es den Wohlleben-Juristen nicht darum, ein etwaiges Behördenversagen aufzudecken und anzuprangern.

Das Rückzugsgefecht hat begonnen

Rechtsanwältin Nicole Scheiders will vorbauen. Im Falle einer Verurteilung müsste sich das "strafmindernd auswirken". Eine Äußerung, die klar macht: Die Wohlleben-Verteidigung hat mit dem Rückzugsgefecht begonnen, versucht zu retten, was noch zu retten ist. Von der lange zur Schau gestellten Zuversicht, ihr Mandant werde wegen der Ceska-Pistole und damit wegen Beihilfe zum Mord in neun Fällen nicht verurteilt werden können, ist wenig übrig geblieben.


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