NSU-Prozess


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288. Verhandlungstag, 8.6.2016 Wie eilig hat es das Gericht?

Im NSU-Prozess schmetterte das Gericht zuletzt einen Beweisantrag nach dem anderen ab. Das sah nach Endspurt aus. Heute sagte ein Gutachter zum wiederholten Mal zur selben Causa aus. Haben es die Richter nun eilig oder nicht?

Von: Oliver Bendixen

Stand: 08.06.2016 | Archiv

Oliver Bendixen | Bild: Bayerischer Rundfunk

08 Juni

Mittwoch, 08. Juni 2016

Unter den Gerichtsreportern laufen bereits Wetten, ob die Richter des Strafsenats an prozessfreien Tagen schon an dem Urteil gegen Beate Zschäpe und ihre vier Mitangeklagten schreiben. Anlass dafür ist die Tatsache, dass das Gericht einen Beweisantrag nach dem anderen mit der Begründung abschmettert, dass die aufgeworfenen Fragen gar nichts mehr zur Wahrheitsfindung beitragen könnten.

Auf der anderen Seiten lassen Verhandlungstage wie der heutige 288. Zweifel daran aufkommen, dass es das Gericht wirklich so eilig hat, obwohl das Beschleunigungsgebot angesichts von zwei inhaftierten Angeklagten immer wieder thematisiert wird. Die Ladung des forensischen Psychiaters Norbert Leygraf, heute noch einmal Angaben zu dem Angeklagten Carstens S. zu machen, fällt eher in das Kapitel Entschleunigung.

Reifegrad von Carsten S.

Der Gutachter, der S. vor nunmehr fast vier Jahren exploriert hatte, trug vor, was ihm der Proband erzählt hatte und wie er den Reifegrad zu einem Zeitpunkt einschätzt, der exakt ein Dutzend Jahre vor der Befragung lag. Konkret geht es um die Frage, ob Carsten S. für die Beschaffung der Ceska-Mordwaffe im Falle einer Verurteilung nach Jugend- oder nach Erwachsenenstrafrecht bestraft werden soll. Nachvollziehbar legte der Gutachter dar, dass die Fähigkeit eines jungen Menschen, im realen Leben praktische Herausforderungen zu meistern, nicht bedeuten muss, dass der Betreffende charakterlich schon zum Erwachsenen gereift sei. Da ging es einmal um das Coming-out des Neonazis als Homosexueller und um seine Einbindung in die rechte Szene.

Dass ein psychiatrischer Gutachter nicht unbedingt ein Kenner der rechtsradikalen Szene sein muss, versteht sich von selbst. Das aber stachelte Olaf Klemke, Verteidiger von Ralf Wohlleben zu Versuchen an, den Professor aus Essen auf ziemlich unwürdige Weise bloßzustellen. Dass der nicht die Liedtexte von Neonazi-Bands kennt und auch nicht weiß, welche "Ausländer raus!"-Parolen im Jahr 2000 gegrölt wurden, glaubte Klemke für seine Verteidigungsstrategie nutzen zu müssen.

Wohllebens Rechts-Anwalt

Seinem Mandanten wird es nichts nutzen - eher im Gegenteil. Bestenfalls kann der im doppelten Sinne Rechts-Anwalt aus Cottbus damit für sich im Neonazi-Millieu Reklame machen. Äußerungen nach dem heutigen Verhandlungsende vor dem Gerichtsgebäude lassen darauf schließen, dass es Klemke genau darum geht. Erstaunlich immerhin, wie er diesen Werbefeldzug in eigener Sache auch nach drei Jahren Verhandlung noch durchhält, während die meisten Linksanwälte auf der Nebenklageseite das Schaulaufen längst ermattet eingestellt haben.


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