NSU-Prozess


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259. Verhandlungstag, 4.2.2016 Die Turner-Tagebücher und der NSU

Hat das heute etwas gebracht? Diese Frage an einem Verhandlungstag, deren Unterbrechungen wieder einmal länger waren als die sachliche Befassung mit dem Tatvorwurf selbst, kann man so und so beantworten: Ja und Nein.

Von: Christoph Arnowski

Stand: 04.02.2016 | Archiv

Christoph Arnowski | Bild: Bayerischer Rundfunk

04 Februar

Donnerstag, 04. Februar 2016

Der Vorsitzende Richter Manfred Götzl hat gerade kurz vor 10.00 Uhr die Präsenz festgestellt, als der Verteidiger von Ralf Wohlleben wieder einmal den Prozessverlauf ins Stocken bringt.

Er beantragt eine zweistündige Prozesspause, um mit seinem Mandanten ein Ablehnungsgesuch gegen den Vorsitzenden und eine weitere Richterin des Staatsschutzsenates zu formulieren. "Dann unterbrechen wir und setzen um 12.00 Uhr fort", verkündet Götzl ganz gelassen. Und auch Anwalt Olaf Klemke lässt keine Anspannung erkennen. Er ist zunächst vor dem Gericht zu sehen. Bei einer Zigarettenpause. Ist das Vorbereitung eines Antrages?

Plötzlich doch kein Antrag

12.00 Uhr. Es geht weiter. Zur allgemeinen Überraschung verkündet Anwalt Klemke, dass sein Mandant Wohlleben nun doch kein Ablehnungsgesuch stellen will. Die Verhandlung kann also heute endlich beginnen. Erster Zeuge: ein Neonazi, der bei seinen bisherigen zwei Vernehmungen zu erkennen gab, dass man ihn ob seiner offen zur Schau getragenen Gesinnung ohne jeden Zweifel als Neonazi bezeichnen kann. Doch heute dauert seine Befragung nicht mehr als fünf Minuten. Warum er überhaupt wieder geladen wurde, kann man zwar erklären, die breite Öffentlichkeit ohne Intimkenntnis der Akten wird es dennoch nicht verstehen. Also lasse ich das.

Und auch der zweite Zeuge, ein Kriminalkommissar aus Bayern, berichtet über die Auswertung einer Festplatte des Mitangeklagten Holger G., dass sich darauf viele Verbindungen zu rechtsradikalen Internetseiten nachweisen lassen. Mehr aber auch nicht, weil außer ihm noch etliche andere Personen Zugang zu diesem Computer hatten.

Was in den Turner-Tagebüchern steht

Davor und danach einige prozessuale Erklärungen. Eine davon, die der besonders gründlichen Nebenklagevertreterin Antonia von der Behrens, dreht sich um die sogenannten Turner-Tagebucher. Eine Art Roman, bereits 1976 in den USA verfasst, der beschreibt, wie Rechtsextremisten Raubüberfälle begehen, um damit ihre Mordanschläge zu finanzieren. Parallelen zum NSU sind unübersehbar. Und es ist auch aktenkundig, dass diese Turner-Tagbebücher als Datei auf einem Computer gefunden wurden, der im Brandschutt des letzten NSU-Verstecks in der Zwickauer Frühlingsstraße statt. Ebenso auf den Festplatten, die den Mitangeklagten Ralf Wohlleben und Andre E. gehörten. In ihrer Erklärung informiert von der Behrens ausführlich über den Inhalt dieser Tagebücher und darüber, dass deren Inhalt der damaligen Neonazi-Szene wohl vertraut war.

Eine Erklärung für die Galerie

Eine Erklärung für das Publikum auf der Galerie, denn allen Prozessbeteiligten ist das längst bekannt. Schließlich sind die Tagebücher im sogenannten Selbstleseverfahren vom Gericht als Beweismittel zugelassen worden. Und insofern war das heute eigentlich überflüssig. Bei den Plädoyers wäre der richtige Platz für solche Bewertungen gewesen. Sagen die einen Prozessbeobachter. Die anderen aber meinen: So hat die Öffentlichkeit endlich mal erfahren, was in den Turner-Tagebüchern eigentlich steht und welche Parallelen es zu den Verbrechen des NSU gibt. Das war wichtig. Und je nach dem, welcher Auffassung man anhängt, wird man am Ende sagen: Der Tag heute war für den Prozess wichtig oder eben verzichtbar.


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