NSU-Prozess


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237. Verhandlungstag, 14.10.2015 Klassenfahrt mit Spitzelenttarnung

Der heutige 237. Verhandlungstag war über weite Strecken so langweilig, dass eine Lehrerin auf der Zuschauertribüne Aufsätze ihrer Schüler korrigierte. Doch am Ende erlebte die Klasse aus Rheinland-Pfalz doch noch einen Paukenschlag.

Von: Thies Marsen

Stand: 14.10.2015 | Archiv

Thies Marsen | Bild: BR/Theresa Högner

14 Oktober

Mittwoch, 14. Oktober 2015

Dass bayerische Schulklassen den NSU-Prozess besuchen, ist nichts Ungewöhnliches. Dass Schülerinnen und Schüler aus Rheinland-Pfalz extra anreisen, um die Verhandlung zu verfolgen, dagegen schon. Umso frustrierender, wenn sie dann ausgerechnet zwei Prozesstage erwischen, an denen es fast ausschließlich um juristische Feinheiten und Formalia geht, um Gerichtsbeschlüsse, Gegendarstellungen, Befangenheits- und Aussetzungsanträge. Doch am Ende bekamen die Gymnasiasten dann doch noch mehr als genug geboten.

Der heutige Prozesstag hatte so angefangen, wie der gestrige aufgehört hatte: Mit Anträgen und stundenlangen Unterbrechungen. Eine der mitangereisten Lehrerinnen wusste - wohl nach der Erfahrung gestern die Zeit zu nutzen: Sie korrigierte in den Verhandlungspausen Deutschschulaufgaben auf der Zuschauerempore. Was dem Frust mancher Schülerinnen und Schüler noch eins drauf setzte (übrigens ging es um die Analyse eines expressionistischen Gedichts: "Weltenende" von Jakob van Hoddis).

Ex-Neonazi-Führungsfigur mit Erinnerungslücken - wieder einmal

Kaum einer hatte noch damit gerechnet, dass das Oberlandesgericht sich am Nachmittag schließlich doch noch mit Inhalten befassen würde - mit der Befragung eines Zeugen aus der extrem rechten Szene. Der einstmals hochrangige Neonazi verhielt sich zwar zunächst so, wie es im NSU-Prozess bei solchen Zeugen üblich geworden ist: alles abstreiten bzw. nur das zugeben, was eh nicht zu leugnen ist. Bei konkreten Fragen berief er sich aber stets auf das schlechte Gedächtnis, vor allem auf das schlechte Namensgedächtnis.

Zeuge scheint V-Mann gewesen zu sein

Doch dann kam schließlich der Auftritt der Nebenkläger - und plötzlich waren die zuvor beinahe eingedösten Schüler hellwach: Erst entlockte eine Anwältin dem Zeugen das Eingeständnis, sich im Vorfeld mit den Verteidigern des Angeklagten Wohlleben getroffen zu haben, um mit ihnen angeblich ausschließlich "über Kinder" zu reden. Dann fragte ein anderer Nebenkläger den Zeugen geradeheraus, ob er denn Geheimdienst-Spitzel gewesen sei. Was folgte, war erst ein sehr langes, sehr beredtes Schweigen, dann die Aussage, dass er ohne Genehmigung dazu möglicherweise nicht Stellung nehmen könne - was fast alle im Saal als Eingeständnis seiner Spitzeltätigkeit verstanden - und schließlich die verzweifelten Versuche seines Rechtsbeistandes, das Ganze wieder einzufangen und abzustreiten.

Endlich Action! Das dürften sich die Gymnasiasten aus Rheinland-Pfalz gedacht haben - und als Berichterstatter konnte man ihnen da nur beipflichten. Die mutmaßliche Enttarnung eines Spitzels als versöhnlicher Abschluss einer Studienfahrt. Selbst ein manchmal quälend langwieriger und -weiliger Prozess wie das NSU-Verfahren kann manchmal ganz großes Theater sein.


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