NSU-Prozess


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202. Verhandlungstag, 29.04.2015 Der Moralapostel

Heute war kein guter Tag für Beate Zschäpe und Ralf Wohlleben. Die beiden Hauptangeklagten des NSU-Prozesses wurden durch die Aussagen des Zeugen S. schwer belastet. S. war mit dem mutmaßlichen Trio befreundet – angeblich nur bis kurz vor dem Gang in den Untergrund.

Von: Mira Barthelmann

Stand: 29.04.2015 | Archiv

Mira Barthelmann | Bild: BR

29 April

Mittwoch, 29. April 2015

S. ist 40 Jahre alt, trägt eine Brille mit dunklem Gestell. Er hat eine Lehre als Straßenwärter absolviert und arbeitet derzeit als Angestellter im Vollzug. Seine Freunde bezeichnen ihn als Gutmenschen. S. lebt in Jena und angelt in seiner Freizeit gerne. Die ganz normale Biografie eines Mannes also, der mitten im Leben steht. So wollte er das heute zumindest darstellen. Was er in seiner Jugend getan hat, bereue er zutiefst. Zumindest wiederholt S. das heute vor Gericht gebetsmühlenartig. Ein typisches Wendekind sei er halt gewesen. Im Osten sei ihm beigebracht worden, dass "der Westen das Schlechte ist. Das war eine Erziehung zum Schwarz-Weiß-Denken. Ich hab dann gedacht: Wenn das Linke falsch ist, dann muss wohl das Rechte das Richtige sein." S. kommt nach Jena. Er besucht dort die Friedrich-Schiller-Schule. Gegenüber befindet sich die Goethe-Schule. Die wird Mitte der 80er Jahre von Beate Zschäpe besucht. Die beiden lernen sich kennen und freunden sich an.

Böhnhardt – sadistisch veranlagt

Zschäpe und er treffen sich anfangs fast täglich. Später lernt er auch Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt kennen. S. war selber Skinhead. An politischen Schulungen der rechten Szene habe er aber nie teilgenommen, sondern sich lieber an Feiern erfreut, bei denen der Alkohol in Strömen floss: „Lustige Partys waren das.“ Den verstorbenen Böhnhardt habe er nie leiden können: „Es hat mich gestört, dass er so aggressiv war gegenüber Menschen, die anderer Meinung waren und er hatte auch ein Faible für Waffen, Messer und so. Der Hauptgrund ist einfach: Ich war der Meinung, dass er ziemlich sadistisch veranlagt ist.“

Über den anderen Verstorbenen des mutmaßlichen Trios, Uwe Mundlos, gab er heute vor dem Oberlandesgericht München zu Protokoll: „Der Mundlos ist ziemlich antisemitisch geworden. Aus welchem Grund auch immer. Und er hat angefangen, den Rudolf Heß zu verehren. Er hat sich ganz stark für Rudolf Heß interessiert, seine Todesumstände, die Aufmärsche. Ich denke, er hat einfach ein Ersatzidol für Herrn Hitler gesucht.“

Tatort Brücke

1996 sei der Zeuge S. dann von Mundlos und Böhnhardt dazu gedrängt worden, ein falsches Alibi zu geben. Mundlos, Böhnhardt und die beiden Hauptangeklagten Zschäpe und Wohlleben und er seien in der Dunkelheit zu einer Autobahnbrücke gefahren und hätten dort eine Puppe mit aufgedrucktem Davidstern und einer Schlinge um den Hals aufgehängt. Später sollte S. dann in der rechten Szene die Tat vertuschen. Als er vor Gericht belangt wurde, hat er nach eigenen Angaben falsch ausgesagt.

Diese Tatsache habe der Hauptangeklagte Wohlleben zum Anlass genommen, ihn weiter unter Druck zu setzen. „Denk dran, Du hast eine Falschaussage gemacht. Wo bleibt das Geld?“, soll er zu ihm gesagt und 300 Mark gefordert haben. Für Anwaltskosten hätte er das Geld sogar bezahlt, nicht aber um schwere Straftaten zu unterstützen. Am Ende habe S. dem mutmaßlichen Trio, das zu diesem Zeitpunkt schon abgetaucht war, überhaupt kein Geld gegeben.

Kein guter Tag für die Hauptangeklagten

S. untermauerte heute die Annahmen von Bundesanwaltschaft und Nebenklagevertretern – nämlich, dass Beate Zschäpe nicht nur bei dem Aufhängen der Puppe an einer Autobahnbrücke anwesend war, sondern auch bei anderen, wesentlich schwerer Straftaten. Und Ralph Wohlleben? Er wurde heute als aggressiver Geldeintreiber skizziert, der seine Macht demonstrierte. Die Verteidigung hatte sich eine Pause zur Beratung erbeten. Der hat Vorsitzenden Richter, Manfred Götzl, vollumfänglich stattgegeben. Die Pause dauert Tage, wenn nicht Wochen, denn der Zeuge muss noch einmal nach München kommen, um seine Aussage fortzusetzen.


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