NSU-Prozess


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191. Verhandlungstag, 11.03.2015 Herrenmenschen im Zeugenstand

Sie träumten von der Vorherrschaft der „Weißen Rasse“, veranstalteten Konzerte mit Neonazibands, die ihren Hass auf Minderheiten von der Bühne grölten, sie feierten Rechtsterroristen und proklamierten auch selbst den bewaffneten Kampf.

Von: Thies Marsen

Stand: 11.03.2015 | Archiv

Thies Marsen | Bild: BR/Theresa Högner

11 März

Mittwoch, 11. März 2015

Doch wenn sie im Saal A101 des Münchner Justizgebäudes Platz nehmen müssen, vor sich den Richtertisch, rechts die Angeklagten, links die Bundesanwaltschaft und hinter sich Nebenkläger und Zuschauer, dann sind die selbsterklärten Herrenmenschen plötzlich ganz klein.

Zwei Zeugen aus der Neonaziszene der 1990er Jahre mussten am 191. Verhandlungstag im NSU-Prozess in den Zeugenstand treten. Der eine ein Mitläufer aus dem Erzgebirge, der andere zeitweise eines der höchsten Tiere der deutschen Neonazimusikszene überhaupt. Und doch gaben beide heute ein ziemlich jämmerliches Bild ab. Immer wieder gab es auf den Zuschauerbänken und unter den Medienvertretern Kopfschütteln und Stirnrunzeln.

Realitätsverlust des V-Manns

So wollte sich der erste Zeuge partout nicht daran erinnern, dass er einstmals nicht nur Thüringen-Chef des Neonazi-Netzwerks Blood and Honour gewesen war, sondern nebenbei auch Zuträger des Verfassungsschutzes. Marcel D. stritt dies bis zuletzt ab, obwohl ihm Richter, Nebenkläger und sogar die Wohlleben-Verteidiger einen Beweis nach dem anderen vorhielten, dass er doch Spitzel gewesen sein muss. So ist seine "Quellennummer" 2100 (so etwas wie seine Mitarbeiternummer beim Geheimdienst), sowohl im sogenannten Schäfer-Untersuchungsbericht genannt, als auch im Abschlussbericht des Thüringer NSU-Untersuchungsausschusses.

Und sein V-Mann-Führer höchstpersönlich hat vor dem Münchner Oberlandesgericht im November 2014 als Zeuge bestätigt, dass die Quellennummer 2100 die von Marcel D. ist. Um die Skurrilität komplett zu machen: Das Thüringer Landesamt für Verfassungsschutz hatte Marcel D., wie bei Mitarbeitern üblich, eine Aussagegenehmigung für den NSU-Prozess ausgestellt, die Richter Götzl gleich zu Anfang der heutigen Befragung verlas. Und trotzdem beharrte Marcel D., der mehrere Jahre unter dem Decknamen "Hagel" seine Neonazi-Kameraden bespitzelt hat, er sei nie V-Mann gewesen.

Heiterkeit und Fassungslosigkeit auf der Tribüne

Woher dieser Realitätsverlust bzw. die Realitätsabspaltung herrührt, darüber kann nur spekuliert werden. Wahrscheinlich hat es mit dem zu tun, was Nebenkläger-Anwalt Yavuz Narin von Marcel D. wissen wollte: Haben Sie Angst vor ehemaligen Kameraden? Gut möglich aber auch, dass ihm nun sein Aussageverhalten noch teuer zu stehen kommen wird, selten hat Richter Götzl jedenfalls einen Zeugen so deutlich vor strafrechtlichen Konsequenzen gewarnt.

Auch der zweite Zeuge konnte sich an entscheidende Dinge nicht erinnern – was die "Weiße Bruderschaft Erzgebirge", der er zusammen mit dem Angeklagten André E. angehörte, denn so für Ziele hatte, wollte der Richter wissen. Die stockenden Antworten lösten auf der Tribüne eine Mischung aus Heiterkeit und Fassungslosigkeit aus: "Freizeitangebote für Jugendliche" brachte Steffen H. noch hervor und dass die Jugend im Erzgebirge von Drogen ferngehalten werden sollte.


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